So sieht Vernetzung aus.

Knapp 20 Nachwuchswissenschaftler unterschiedlichster theologischer Fachrichtungen aus fünf verschieden Herkunftsländern trafen sich vom 24. auf den 25. Mai 2019 im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen.

Neben dem fachlichen Austausch gab es ausreichend Gelegenheit, sich gegenseitig kennen zu lernen und Kontakte zu knüpfen.

Im inhaltlichen Fokus standen vier laufende Projekte aus den Bereichen Praktische Theologie, Neues Testament und antikes Judentum sowie Kirchengeschichte.

Johannes Schütt (Universität Leipzig) führte in sein Dissertationsprojekt über neuste Konzeptionen der Kirchentheorie im theologischen, kritisch-konstruktiven Vergleich ein. Er untersucht acht Entwürfe (Preul, Hermelink, Hauschildt/Pohl-Patalon, Gräb, Herbst, Grethlein, Haslinger, Schweyer) aus unterschiedlichen konfessionellen bzw. kirchlichen Prägungen auf ihre jeweils zugrundeliegenden theologischen Entscheidungen bzw. normativen Ansätze. In vielerlei Hinsicht gelingt es ihm durch diesen Vergleich aufzuzeigen, wo die jeweiligen Stärken, aber gerade auch Defizite liegen. So sucht er selbst nach Impulsen für kirchentheoretische Ansätze, die u.a. eine gemeinschaftliche Spiritualität fördert, die „Gemeinde“ als entscheidende Größe in den Blick nimmt, die Eschatologie bzw. die „Heilsfrage“ (wieder) integriert sowie – gerade hinsichtlich gegenwärtiger und zukünftiger Herausforderungen aller Kirchen – freikirchliche Strukturen einbeziehe.

Dr. Guido Baltes (MBS/Universität Marburg) widmet sich im Rahmen seiner kumulativen Habilitation der Frage nach einer Verankerung neutestamentlicher Diskurse im antiken Judentum. Beispielhaft führte er dies an der Geschichte von Petrus und Cornelius (Apg 10) aus, indem er fragt, ob hier – wie häufig in der ntl. Wissenschaft veranschlagt – wirklich die jüdischen Speisevorschriften aufgehoben werden. Dagegen vertritt er die Position, dass es hier (und auch sonst im NT) gerade nicht um einen Bruch mit der Speisetora bzw. mit biblischen Geboten gehe (weder in der Vision des Petrus noch in deren Anwendung im Haus des Cornelius), sondern um die Überwindung von Vorurteilen gegenüber Menschen, die nicht biblisch begründet sind. Dass er damit zahlreiche, v.a. in der deutschsprachigen, protestantischen Exegese etablierte Auslegungsprämissen deutlich herausfordert, zeigte nicht zuletzt die angeregte Diskussion im Anschluss an seinen Vortrag.

Daniela Seibert (STH Basel) steht am Anfang ihres Dissertationsprojekts zur Erforschung der Bedeutung von Intergenerationalität in Kirchengemeinden. Als Grundlage dienen ihr qualitative Fallstudien in reformierten Gemeinden der Schweiz. Dabei steht die Frage im Zenrum: Wie sehen Generationenbeziehungen in Kirchengemeinden aus und wie können Potentiale von Intergenerationalität besser genutzt werden? Zu dieser – überall anzutreffenden – Herausforderung gibt es bislang kaum Untersuchungen, was angesichts der Aktualität und Relevanz für Kirchengemeinden nahezu jeder konfessionellen und strukturellen Prägung verwundern sollte.

Jan Reitzner (Universität Göttingen) forscht im Rahmen eines DFG-Projekts über die Rezeption der Wüstenvätersprüche (Apophthegmata Patrum) bei Bernhard von Clairvaux und Petrus Venerabilis. Besonders bemerkenswert ist dabei, wie aktuell die Beweggründe und Debatten im 11. Jh. aus heutiger Sicht erscheinen. Angesichts von scharfen Auseinandersetzungen zwischen dem Zisterzienserorden und dem Reformprogramm von Cluny benutzte Bernhard die Wüstenvätersprüche vor allem als Exempel, um damit auf die gegenwärtige Lebenswelt seiner Mönche einzugehen. Dabei verstanden sich Bernhard und Petrus selbst nicht als innovativ, sondern vielmehr als diejenigen, die in der Tradition der einen, heiligen Kirche stehen. Gerade durch die Berufung auf die Tradition gelang es, neu entstehende Gemeinschaften in die bestehenden Strukturen zu integrieren. Bernhard und Petrus drohten nie mit Spaltung, aber waren hinsichtlich ihrer Überzeugung kompromisslos deutlich. Hier findet sich aus heutiger Sicht ein bemerkenswertes Beispiel für theologische Innovation, die zugleich von einer großen Wertschätzung auf die bestehende Tradition geprägt ist.

Mit Dank an Prof. Dr. Rainer Riesner für seine Begleitung des Kolloquiums sowie an das Albrecht-Bengel-Haus für dessen Gastfreundschaft, dürfen wir mit Vorfreude auf das nächste Jahr blicken.

Andreas-Christian Heidel