25 Jahre FAGAT
Die Jubiläumstagung der Facharbeitsgruppe AT 2017
„Der Herr wird sich wieder über dich freuen, dir zugut, wie er sich über deine Väter gefreut hat“ (5.Mo 30,9). Was für ein Losungswort zum Auftakt der FAGAT-Jubiläumstagung. Das wünschen wir uns, im Segen der FAGAT-Gründerväter weitermachen zu können, Gott zur Freude und zum Dienst an seiner Gemeinde.
So trafen wir uns am 19.-21. Februar 2017 in Braunfels, um miteinander zu arbeiten, aber auch um dankbar innezuhalten und zu feiern. Dazu gehörte wie in jedem Jahr auch wesentlich das Gebet – füreinander und für unsere Ausbildungsstätten –, und natürlich auch wie in jedem Jahr am Abend der fröhliche Austausch bei einem guten, von Prof. Dr. Helmut Pehlke gesponserten Tropfen.
Den Auftakt zu den Vorträgen machte Pastor Joel Beyeler (Oberdorf, Basel). Er referierte zu einem Thema aus seinem Dissertationsprojekt „Zinsen und Schulden im Alten Testament“. Er schreibt dazu: „Die Thora verbietet die Zinsnahme unter Volksangehörigen. In Mesopotamien dagegen finden sich viele Dokumente, die Zinsen von 20% (Geld) und 33 1/3 % (Zerealien) belegen. Einzig in Ägypten sind Zinsen erst spät (8. Jh. v. Chr.) belegt. Hejcl kam 1907 zum Schluss, dass der Unterschied zwischen Mesopotamien und Israel durch die unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Gesellschaft zu erklären ist. Diese Erklärung kann aber nicht überzeugen. Die Herrscher in Mesopotamien sahen sich genötigt, immer wieder korrigierend einzugreifen und Schulden samt Zinsen generell zu erlassen. So ganz in ihrem Interesse schienen Zinsen mit ihrer destabilisierenden Wirkung auf die Gesellschaft nicht zu sein. Weshalb wurden Zinsen (auch in Israel) trotzdem eingeführt? Diese Frage hoffe ich, am Ende meines Dissertationsprojekts beantworten können.“
Am Montagmorgen fuhr Dr. Walter Hilbrands (FTH Gießen) mit seinem Referat zum Thema „Kohelet als Schöpfungstheologe“ fort: „Wohl bei keinem anderen Buch des Alten Testaments gehen die Deutungen so weit auseinander wie bei Kohelet. Sie reichen vom Zyniker bis zum „preacher of joy“. Nach einer Einführung in die neuere Forschung deutete Hilbrands die Spannungen im Buch textimmanent. Kohelet beschreibe ungeschönt die komplexe Wirklichkeit der Schöpfung mit all ihren Brüchen und Aporien. Anhand von Koh 1,1-11 und 3,1-15 wurden die intertextuellen Bezüge zu Gen 1-4 herausgestellt und für eine theologische Deutung des Buches fruchtbar gemacht.“
Dr. Hans-Georg Wünch (TS Rheinland, Wölmersen) referierte zum Thema „Auf Adlers Flügeln getragen? Dtn 32,11“. Er schreibt dazu: „In den letzten Jahrzehnten wird die Übersetzung »Adler« für den nesher immer wieder in Frage gestellt. Viele Theologen behaupten, es handle sich dabei eigentlich um einen Geier, da die Bibel von dem »Kahl-sein« des nesher spricht (Micha 1,16) und ihn als einen Aasfresser darstellt (Hiob 39,39). Vor allem der Gänsegeier wird hier immer wieder genannt. Allerdings hat der Gänsegeier zwar einen etwas längeren Hals als ein Adler, ist aber nicht kahl. Viel wahrscheinlicher ist hier, dass hinter dem Vergleich in Micha 1,16 die Mauser eines großen Vogels (Adlers?) zu sehen ist. Und wenn es in Hiob 39,30 heißt, dass der nesher dort ist, wo das Aas ist, sollte beachtet werden, dass nicht nur der Geier Aasfresser ist, sondern auch drei der vier in Palästina beheimateten Adlerarten Aas fressen. Es gibt also keinen zwingenden Grund, den hebräischen Begriff nesher mit »Geier« zu übersetzen. Vermutlich handelt es sich um einen großen Greifvogel (wobei durchaus auch der Gänsegeier darunter gemeint sein kann). In der Übersetzung sollte jedoch – aufgrund der damit verbundenen Assoziationen – der Begriff »Adler« verwendet werden.
Aber trägt der Adler wirklich seine Jungen auf seinen Flügeln? Dies wurde bisher nicht eindeutig nachgewiesen. Auf jeden Fall trägt er sie nicht über größere Strecken. Man könnte in diesem Vers zunächst in der ersten Vershälfte eine Aussage über den Adler sehen, die dann in der zweiten Vershälfte auf Gott übertragen wird. Dabei ist das Handeln Gottes an Israel um ein Vielfaches größer und mächtiger als das Bild dies zum Ausdruck bringt.“
Dr. Carsten Ziegert (FTH Gießen) untersuchte „Das Wortfeld von Gnade, Liebe und Treue im biblischen Hebräisch“: „Die Bedeutung der in der »Gnadenformel« Ex 34,6 genannten Lexeme רַחוּם, חַנּוּן, חֶ֫סֶד und אֱמֶת ist keineswegs gesichert. Wörterbücher und Bibelübersetzungen geben nur unscharfe Entsprechungen an, die sich überschneiden. Um die jeweilige Bedeutung genauer zu erschließen, eignet sich die Frame-Semantik (Fillmore 1976), ein Ansatz der kognitiven Linguistik, der enzyklopädisches Wissen integriert. Exemplarisch wurde im Vortrag ein (hypothetischer) »Frame« für das Lexem חֶ֫סֶד rekonstruiert. Zu den kognitiven Rahmenbedingungen von חֶ֫סֶד gehören eine helfende und eine empfangende Person, die bereits in einer Beziehung zueinander stehen. Dabei befindet sich die empfangende Person in einer existenziellen Notlage, die sie nicht selbst abwenden kann. Die Frame-Semantik erweist sich als neue, vielversprechende Methode der Lexikographie.“
In seinem Vortrag „Beobachtungen zu Sacharja 2. Zu seiner Einbettung in den literarischen Kontext und zu möglichen Implikationen für das Sacharjabuch“ arbeitete Prof. Dr. Heiko Wenzel (FTH Gießen) wichtige Aspekte der Auslegung von Sacharja 2 heraus. Dabei legt er besonderen Wert auf das Verhältnis der beiden Nachtgesichte zu den Prophetensprüchen und deren gemeinsame Einbindung in den literarischen Kontext. Diese Einbindung erfolgt über inhaltliche Gemeinsamkeiten (Gericht über die Völker, Heil für Israel) und die identischen Aussagen am Ende von Sach 1,17 und 2,16. Diese Beobachtungen legen nahe, dass diese Nachtgesichte weitere Ausführungen zu den grundlegenden Aussagen in Sach 1,14f darstellen. Diese Dynamik regt zu weiteren Überlegungen an, wie die Sammlung der Nachtgesichte und evtl. sogar das gesamte Sacharjabuch seine Gedanken entfalten. Für die Nachtgesichte ist auf jeden Fall festzuhalten, dass neben chiastischen Elementen eine fortschreitende oder lineare Dynamik nicht vernachlässigt werden darf.
Zum 25jährigen Jubiläum der FAGAT erzählte Prof. Dr. Herbert H. Klement in einem Rückblick von den Anfängen und Zielsetzungen dieses „inzwischen wichtigsten Netzwerkes evangelikaler Alttestamentler“. Seit der ersten Tagung im März 1992 sind etwa 120 Referate gehalten worden, die Referenten kamen aus verschiedenen europäischen Ländern.
Unter dem Thema Aktuelle Herausforderungen alttestamentlicher Hermeneutik nannte Herbert Klement sechs Bereiche – nachfolgend als Zitat:
„1. Die nach wie vor dominierende Literarkritik, die den kanonisch gegebenen Zusammenhang zerstört und durch meist entwicklungsgeschichtlich ausgerichtete Neuerzählungen ersetzt. Dass diese an modernen Schreibtischen kreierten Narrative den akademischen Diskurs nach wie vor wesentlich beeinflussen, ist bleibende Herausforderung.
- Die archäologische Forschung stellt sich seit der Diskussion um die minimalistische Interpretation verändert dar. Es sind weniger die so genannten „facts“, als deren Interpretationen, die die Debatte bestimmen. Hermeneutische Vorentscheidungen bestimmen auch hier die Wahrnehmung.
- Die seit den 70ger Jahren vor allem im internationalen Raum ausgeprägte a-historische Lektüre des AT hat viele Chancen eröffnet. Die kanonische und literarästhetische Exegese bedarf allerdings der Einbeziehung der historischen Dimensionen. Sowohl die Einleitungsfragen wie die dargestellten biblischen Erzählungen haben eine historische und geographische Dimension. Verzichtet man darauf, sie zu klären, wie dies auch in manchen evangelikalen Publikationen geschieht, überlasst man die Antworten den unbefriedigenden und meist destruktiven historisch-kritischen Positionen.
- Eine am kanonisch vorgegebenen Text ausgerichtete historische Exegese wird der biblischen Botschaft am besten gerecht. Die historische Dimension verleiht dem Gott Israels und dem Gottesvolk Identität, damit auch der christlichen Gemeinde. Sie vermittelt gleichzeitig die Legitimation zur Verkündigung mit theologischen Wahrheitsansprüchen, damit für Evangelisation, Mission und Gemeindebau. Sie ist nicht verzichtbar.
- Die Marcionitische Sicht auf das AT, es als eher mindere Heilige Schrift anzusehen, ist seit der alten liberalen Theologie (Schleiermacher, Harnack) und der Theologie der Deutschen Christen im Dritten Reich auch nach 1945 selten aufgearbeitet worden. Dabei ist sie auch unter konservativen Christen sehr weit verbreitet. Die jüngst von Notger Slenczka angestoßene Debatte, endlich anzuerkennen, dass sich Harnack mit seiner Abwertung des AT in der Christenheit faktisch im Protestantismus durchgesetzt hat, gilt es aufzunehmen und zu überwinden. Jesus, die Apostel und das NT kennen keine Abwertung des AT, im Gegenteil. Für sie ist das AT da theologische Maß für die Botschaft des NT, nicht umgekehrt.
- Diese Abwertung des AT wird heute verschärft durch eine Debatte um die religiöse Gewalt, wie sie in islamistischer Form begegnet, aber schnell auch mit Aspekten des AT verbunden wird. Insbesondere die Publikationen von Jan Assmann werfen Fragen auf, die der theologischen Klärung bedürfen.“
Herbert Klement schloss mit der Feststellung, dass bei allem Dank für das, was in 25 Jahren durch die FAGAT geschehen konnte, „die Aufgaben nach wie vor immens bleiben“.
In der abschließenden Mitgliederversammlung wurde ein neues Leitungsteam gewählt. Nachdem sich Herbert Klement nach 20 Jahren als Vorsitzender nicht zur Wiederwahl stellte, wählten die Mitglieder zu den beiden bisherigen Leitungsteammitgliedern Dr. Walter Hilbrands und Dr. Gunnar Begerau noch Dr. Stefan Felber ins neue Leitungsteam. Den Vorsitz übernimmt Dr. Walter Hilbrands. Herzlich danken wir Prof. Dr. Herbert Klement für seinen großen und treuen Einsatz für die FAGAT. Und dem neuen Team wünschen wir Gottes Segen.
Herzliche Einladung zur nächsten FAGAT-Tagung am 18.-20.02.2018.
Dr. Uwe Rechberger