26 Teilnehmer, viele davon Dozenten und Forscher am Alten Testament, kamen zu ihrem jährlichen Treffen im beschaulichen Braunfels zusammen. Fünf Fachvorträge deckten exegetische, alttestamentlich-theologische und begriffsorientierte Felder ab. Dr. Siegbert Riecker von der Bibelschule Kirchberg sprach über „Alttestamentliche Grundlagen der Apologetik: Ein biblisch-theologischer Entwurf“. Hierzu gibt es kaum neuere Studien. Bernhard Ramm (The Apologetic of the Old Testament, BETS 1958) wurde praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Er sieht v.a. die Unterscheidung zwischen dem lebendigen Gott und den toten Götzen, nicht zwischen wahrem und falschem Gott. Yairah Amit (Hidden polemics, 2000) unterscheidet drei formale Typen alttestamentlicher Polemik: explicit / implicit / hidden polemics. Besonders die letzten beiden sind wichtig, doch der Vielfalt des Alten Testaments wird man hier nicht gerecht. Horst Dietrich Preuß (Verspottung fremder Religion im Alten Testament, 1971) hatte hilfreich gegliedert nach a) erzählenden Gattungen, b) Prophetie und c) Lyrik (in Weisheitsliteratur findet er keine Verspottung).

Riecker zielt nicht ab auf nicht eine religionsgeschichtliche, sondern auf eine biblisch-theologische Darstellung, im Sinne einer Zusammenschau der Glaubens- und Zeugniswelt des Alten Testaments, bes. hinsichtlich der Abgrenzungen nach außen. Allerdings ist innen und außen nicht immer klar trennbar: Dtn 13 etwa regelt den Umgang mit einem Propheten, der zum Abfall verführt: er mag Israelit sein, ruft aber zur Fremdgötterverehrung auf. Die Polemik richtet sich dann ethnisch nach innen, theologisch aber nach außen. Riecker schlägt nun die folgende Typologie vor, mit gewissen Überschneidungen:

  1. Narrative Apologetik – apologetische Geschichtsdeutung
  2. Prophetische Apologetik – Jhwh als Apologet
  3. Weisheitliche Apologetik – Lebensdeutung und Gotteslob
  4. Zitierende Apologetik als antithetische Verkündigung
  5. Modellhafte Apologetik – Lernen am Vorbild

Der damit umrissene Textumfang ist gewaltig – und zeigt um so stärker das Defizit einer die alttestamentlichen Grundlagen der Glaubensverteidigung überspringenden Theologie.

Wenige Beispiele:

Zu Nr. 1 (z.T. zu diskutieren): Turmbau; Exodus; Dagon (1.Sam 5); Geschichtsdeutung: Nordreich 2.Kön 17; Südreich 2.Kön 23ff.

Zu Nr. 2: Prophetische Apologetik bestreitet i.d.R. nicht die Existenz, sondern die Wirksamkeit der anderen Götter. Texte: Dtn 4,28; 32,21; Jer 10 (V. 11 aramäisch); Jes 44 (vgl. Jes 40; 41; Ps 135); Fremdvölkersprüche.

Zu Nr. 3: Hierzu zählen gewisse Psalmen (Ps 82), ferner etwa Hiob 13,7 gegen eine pia fraus und die Erkenntnis in Dan 2,47..

Zu Nr. 4: Antithetische Verkündigung hat ihren Ursprung zuletzt in der Tora, vgl. Gen 3,3 (!); Dtn 12,30; 29,18. Auch die vier Zitate in Ps 10; die Verkündigung gegen falsche Zuversicht (Erwählung, Tempel, Tora) und die Wiedergabe einer trotzige Abneigung gegen das Prophetenwort zählen dazu.

Zu Nr. 5: Auch hier überrascht der Umfang der Texte, in denen sich über weite Strecken eine durchaus sachlich-nüchterne Auseinandersetzung vollzieht: Ex 5–12 (Auseinandersetzung Mose-Pharao); Ri 11 Jephtah; 1.Sam 17 Goliath; 1.Kön 18 Argumente Elias gegenüber dem Volk; 2.Kön 18–19 Rede des Rabschake versus Gotteswort (vgl. Jes 36f.); Jer 28 (der Tod des falschen Propheten entscheidet den Disput!); aus Dan 1–6 u.a.: ‚Wer ist Gott, der euch aus meiner Hand erretten kann?‘ Antwort: ‚es ist nicht nötig, daß wir dir darauf antworten …‘; Esra/Neh (Zitate, Briefe).

Anschließend diskutierten wir insbes., wie Israel seinen Glauben verteidigt, und inwiefern etwa Gen 1 apologetisch gedacht ist (im Ton? auch im Inhalt?). Um den Begriff Apologetik inhaltlich zu profilieren, wurde vorgeschlagen, ihn dort zu verwenden, wo etwas argumentativ oder narrativ bestritten oder verteidigt wird.

 

Carsten Vang (Senior Lecturer and Programme Director an der Menighedsfakultetet / Lutheran School of Theology in Aarhus) präsentierte einen weiteren Schritt seiner vieljährigen Forschungen zur Beziehung zwischen Hosea und dem Deuteronomium, diesmal anhand der Thematik der Gotteserkenntnis (“Knowledge of God” in Hosea and Deuteronomy – A Shared Theme and a Possible Dependance). Die thematische Verbindung sei sicher mehr als zufällig, wahrscheinlich sei sogar eine literarische Abhängigkeit. In der kritischen Forschung wird dabei das Hoseabuch als Spender, das Dtn als Empfänger verstanden. Vang jedoch: „We will tend to perceive the shared theme in Hosea as a prophetic adaptation of an older Deuteromic cognition formula.” Vang beobachtet zugleich penibel die Differenzen in der Phraseologie. „Den Herrn erkennen“ hat bei Hosea viele verschiedene Aspekte, während das Dtn es reserviert „to the reflective cognition of his nature from cognition of his works in contemporary history“ (Zitate aus dem verteilten Manuskript S. 19). Für die Beziehung zu Jahwe bevorzugt das Dtn lieben (ahab) und fürchten (jra), nicht kennen (jda).

Prof. Dr. Herbert H. Klement (STH Basel/Leuven) präsentierte als Ersatz für den kurzfristig abwesenden Prof. H. Koorevaar eine Studie über „Jesus, der Menschensohn, und einer ‚wie ein Menschensohn‘ in Dan 7“. Der Beitrag wird demnächst erscheinen in R. Hille (Hg.), Gott als Mensch. Christologische Perspektiven. Bericht über die 18. Theologische Studienkonferenz des Arbeitskreises für Evangelikale Theologie (AfeT) im November 2013 in Bad Blankenburg, Gießen: Brunnen 2015. Nur kurz sei selektiv auf wenige Aussagen hingewiesen: Die Partikel „wie“ vor „Menschensohn“ unterstreicht, daß die Person nicht einfach der Gattung Mensch angehört, auch wenn es so aussieht. Es muß sich um eine überirdische Gestalt handeln: a) Ps 89,7f. parallelisiert die „in den Wolken“ mit den „Göttersöhnen“, dem „Rat der Heiligen“ und denen, „die um Jhwh sind“. b) Die Verehrung des Menschensohnes ist kultischer Natur (vgl. plch in Dan 3,12.14.17f.28). c) Wenn in Dan 7,14 alle Völker und Sprachen dem dienen, der mit den Wolken des Himmels kommt, und der wie ein Mensch aussieht, und dies als völlig legitime Verehrung gilt, dann kann er nur als Gott verstanden werden. Die Aussage der weltweiten göttlichen Verehrung macht es unwahrscheinlich, dass in Dan 7,13 an einen Engel zu denken ist“ – es rückt ihn auf eine Stufe mit dem „Alten an Tagen“, der ebenfalls menschenähnliche Züge hat. Bereits die LXX unterstreicht die Nähe der beiden dadurch, daß der mit den Himmelswolken Kommenden nicht nur ist „wie ein Mensch“, sondern auch „wie der Alte an Tagen“ erschien, und zudem mit Begleiter erscheint (S. 11 und 15 des verteilten Manuskripts)!

„Prophet inmitten der Verschleppten: Sprachliche Konstruktion von Raum im Buch Ezechiel“ überschrieb Pfarrvikar Giancarlo Voellmy (AT-Dozent am Seminar für Biblische Theologie in Beatenberg/Schweiz) seinen Vortrag, eine Vorstudie auf dem Weg zu seiner Berner Dissertation. Hier geht es um „Mitte“  (hebr. tok bzw. tawäk) als semantische Relation, die im Hesekielbuch ein übergreifendes Konzept erkennen lasse, „das einerseits die bekannte sakrale Raumordnung aufnimmt, sie aber gleichzeitig variiert und die Implikationen des Abfalls anhand einer Umkehrung des Raumes aufzeigt“. Eine Gruppe von Mitte-Relationen enthalte das Motiv des „Propheten inmitten seines Volkes“: statisch mittig, zur Mitte hin- oder von ihr wegführend. Voellmy vermutet vorsichtig: Vielleicht wurde Hesekiel zu einer Art „Heiligtum“, und das Heilige und das Unheilige koexistierten in der Mitte. Wer den Propheten erkenne, erkenne auch Gott.

Keine Vorstudie, sondern einen Post-Doc-Bericht gab schließlich Prof. Dr. Heiko Wenzel (FTH Gießen, D) über „Wahre und falsche Prophetie“ bzw. deren alttestamentliche Abgrenzung. Die heftige Diskussion der 1960er und 70er Jahre zur Frage (H. W. Wolff, G. von Rad) ist seither fast zum Erliegen gekommen. Wenzels provozierende These lautet nun: In den einschlägigen Texten[1] liegen keinerlei Kriterien zur Identifizierung von wahrer, durch JHWH autorisierter Prophetie vor. Vielmehr fänden sich nur Kriterien zur Identifizierung illegitimer Prophetie: bestimmte Praktiken und Botschaften (vgl.  Optionen 2 bis 4).

Legitime Botschaft Illegitime Botschaft
Legitime Praktiken Option (1) Option (2)
Illegitime Praktiken Option (3) Option (4)

 

Im Anschluß entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, in der es bes. um den Zusammenhang von Jer 26–28.29 ging. Als problematisch wurde u.a. empfunden, es wäre anzunehmen, der Prophet dürfte gar nichts Neues sagen, sondern nur in den Pentateuch einweisen (was Wenzel auch nicht behauptet hatte). Eine offene Frage blieb auch hinsichtlich der Kanonisierung übrig: Setzt diese nicht Kriterien voraus, die es ermöglichen, daß man irgendwann einmal einen Haken, ein „kanonisch“ unter das Buch eines Propheten setzt?

Auch diese Tagung bot neben Fachvorträgen „Raum“ zum Sein „wie ein Mensch“, zur Begegnung, zur Verteidigung eigener und fremder Thesen, und zur Besichtigung des Domes zu Wetzlar, einer der wenigen ökumenisch genutzten Kirchen in Deutschland. Wir freuen uns auf die nächste Gelegenheit: Vom 28.2. bis 1.3.2016 wird die Tagung der alttestamentlichen Facharbeitsgruppe zum ersten Mal zusammen mit der neutestamentlichen abgehalten, dann im Brüderhaus Tabor, Marburg. Herzliche Einladung!

 

Stefan Felber

 

[1] Armin Langes Textauswahl: Jes 3,1–3; 9,13–15; 28,7–13; Jer 2,8; 4,9f; 5,12–14.30f; 6,9–15; 14,10–16; 20,6; 23,9–40; 27–29; 37,19; Hes 12,21–14,11; 21,34; 22,28; Hos 4,5; Am 7,14; Mi 2,6–11; 3,5–8.11; Zeph 3,4; Sach 10,2; 13,2–6; Klgl 2,14; 4,13.