Ekklesiologie, Person, Heilsgeschichte, Schwarm, Hermeneutik, Apologetik

Tagung der FAGST 2015/2

Die Systematiker des AfeT trafen sich zu einem Blockseminar mit sechs Vorträgen samt Diskussion am 14. November 2015 in Bad Liebenzell-Monbachtal.

Der Vortrag von Pfr. Dr. Salomo Strauß (Münsingen) stellte am Beispiel Peter Brunners einige Grundaspekte lutherischer Ekklesiologie heraus. Ausgangspunkt ist dabei Gottes Selbstbestimmung zur Gemeinschaft. Kirche wird theologisch, von Gott bzw. von innen her verstanden. Gegen universalistische Tendenzen wendet sich Brunners Unterscheidung von Erwerbung und Austeilung der Vergebung; Unglaube ist das Werk des Menschen, Glaube aber Gottes Werk. Die Apostolizität der Kirche wird auch inhaltlich durch Kontinuität zur apostolischen Evangeliumsverkündigung bestimmt. Dabei sieht Brunner die Wahrheit nur von der Gemeinschaft der Kirchen, nicht von einer einzigen Kirche bewahrt.

FAGST_2015-2_IffProf. Dr. Markus Iff (Theol. Hochschule Ewersbach) zeigte am Beispiel von Friedrich Heinrich Jacobi, wie theologische Grundeinsichten mit Hilfe philosophischer Begrifflichkeiten und Konzeptionen für ein breiteres Publikum anschlussfähig gemacht werden können. Jacobi dreht dabei den cartesianischen Lehrsatz dahingehend um, dass das Sein vor dem Denken (sum ergo cogito), die Person vor der Persönlichkeit stehen muss. Gegen den Sog ins Unpersönliche wie bei Spinoza, so dass aus dem Wer der Person nurmehr das Was einer Eigenschaft wird, wendet sich Jacobi mit seiner Betonung eines irreversiblen Für-Sich-Seins (Je-Meinigkeit). Das Was und Wer sind notwendig aufeinander bezogen und gehen nicht ineinander auf. Eine Findungslogik (Wer-Identität) geht nicht in einer Konstruktionslogik (Was-Identität)  auf bzw. Tiefsinn nicht in Scharfsinn. „Wir finden uns uns selbst vorausgesetzt“. Die vernehmend-findende Komponente steht für die anthropologische Einbettung des Religionsbegriffs. Das hat auch Auswirkungen für die Diskussion um Lebensschutz und Gender Mainstreaming, weil von liberalen bzw. dekonstruktivistischen Positionen her gerade die Tatsache bzw. das Gewicht einer bleibenden Wer-Identität bestritten wird.

Pfr. Dr. Ekkehard Hirschfeld (Dettingen/Erms) stellte das heilsgeschichtliche Denken Ernst Ferdinand Ströters vor. Ströter übernahm aus seinem calvinistischen Elternhaus die Akzentuierung der Souveränität Gottes, wandte sich jedoch gegen die doppelte Prädestination, konvertierte zum Methodismus und wurde zum Vertreter eines prämillennialistischen Dispensationalismus. Johann Tobias Becks teleologische Geschichtstheologie prägte ihn nachhaltig, ebenso Darbys Ablehnung der Substitutionstheorie im Bezug auf Israel. Aus dispensationalistischen Gründen kritisierte Ströter institutionell organisierte Missionsaktivitäten und geriet dadurch in Konflikt zur Gemeinschaftsbewegung, die ihn lange Zeit als Konferenzredner einlud. Ähnlich wie später Karl Barth deutete Ströter die Erwählungslehre überindividuell und kam so zu einer Form von Allversöhnungs- bzw. Wiederherstellungslehre. Das purgatorisch verstandene Endgericht erhielt einen heilbringenden Charakter. Der heilsgeschichtliche Ansatz steht für Theozentrik und dadurch Objektivität. Auch lässt sich dadurch existenzielle Gelassenheit einüben.

FAGST_2015-2_KesslerProf. Dr. Volker Kessler (ACF Gummersbach) machte den naturwissenschaftlichen-soziologischen Sachverhalt der Schwarmintelligenz interdisziplinär für die Theologie nutzbar. Gemeint ist das kollektive Verhalten von dezentralen, selbst-organisierten Systemen wie etwa Ameisen, die durch die Ausbreitung von Duftstoffen die zufällig gefundenen Lösungswege Einzelner durch die Gesamtheit von Nachahmern verstärken. Der Schwarm bezieht anders als das Netzwerk Raum und Zeit ein, agiert dynamisch und global. Ein Schwarm entwickelt mit dem Durchschnitt aus einer Vielzahl von Ansätzen ein im Hinblick auf die Wahrheit angemesseneres Ergebnis als eine einzelne Führungsperson. Für Führungspersonen auch in Gemeinden und freien Werken genügt es, einfache Regeln aufzustellen, um die Eigenaktivitäten der Menge in produktive Bahnen zu lenken. Außerdem müssen neue Phänomene theologisch gedeutet und eingeordnet werden. Positive Beispiele für Schwarmintelligenz wären Open-Source-Software-Angebote oder kooperative Lexika wie Wikipedia, negativ dagegen ist die Volxbibel.

Pfr. Dr. Clemens Hägele (ABH Tübingen) zeigte auf, dass die Luther zugeschriebene Formel „Was Christum treibet“ erstens nicht präzise zitiert wird und zweitens gerade nicht wie meistens behauptet ein hermeneutisches Scheidungskriterium darstellt. Das „Was“ bezieht sich demnach gerade nicht auf einzelne, womöglich missliebige Textpassagen, sondern auf bestimmte Schriften als ganze, deren Apostolizität wegen des Fehlens eines eindeutigen Christus- und Evangeliumsbezugs in Frage steht. Apostolische Schriften sind hingegen als ganze nicht Gegenstand einer Unterscheidung von „Schale“ und „Kern“. Außerdem sind die Schriften und nicht ein nachträglich vom Ausleger zu bestimmendes „Was“ Subjekt des „Treibens“. „Christus gegen die Schrift zu treiben“ (das andere häufig gebrauchte Zitat) richtet sich nicht gegen die Schrift, sondern dagegen, das Wesen der Schrift zu verfehlen. Überhaupt kommt es darauf an, das Wesen der Bibel zu erkennen, bevor man nach Verstehen und Akzeptanz der Schrift fragt. Aber selbst wenn bestimmte Schriften sich wie Ränder zur Mitte verhalten, bleiben sie wichtig und wurden auch in Lutherbibeln weiterhin abgedruckt.

FAGST_2015-2_RieckerDr. Siegbert Riecker (Bibelschule Kirchberg/Jagst) führte alttestamentliche Grundlagen der Apologetik vor. Dabei geht es um Apologetik durch Polemik und zwar nach innen als Kultpolemik und im Bezug auf von außen kommende Einflüsse als Götzenpolemik. Entsprechend den Literaturgattungen gibt es narrative Apologetik (z.B. Gen. 1-11; 2. Kön. 17), prophetische Apologetik (z.B. Jes. 44) und weisheitliche Apologetik (z.B. Ps. 96; 119). Bemerkenswert ist das Zitieren von Irrlehren in antithetischer Verkündigung (z.B. Gen. 3,3; Dtn. 12,30; 15,9). Einzelne Auseinandersetzungen werden modellhaft breit ausgeführt (z.B. Ex. 5-12; Ri. 11; 1. Sam. 17; 1. Kön. 18; Jer. 28; Dan. 1-6; Esra/Neh.). Das AT benennt auch einen Auftrag zur Apologetik (z.B. Dtn. 13,2-6; 18, 20-22; Ps. 119,42-46).

 

 

Christian Herrmann