Der Bologna-Prozess und das Theologiestudium
Formale Aspekte aus der Perspektive des niederländischen Sprachraums

Viele Theologische Seminare und Fakultäten beschäftigen sich derzeit mit der Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge. Dies ist wesentlich durch den als Bologna-Prozess bezeichneten Anstoß der Europäischen Union zur europäischen Integration der Hochschulausbildung erfolgt. Die Einschätzung von Prof. Drs. Andreas J. Beck, als Dekan zuständig für Akkreditierungsfragen an der evangelikalen „Evangelisch-Theologischen Fakultät“ (ETF) in Löwen/Belgien, will zur Orientierung beitragen und damit den Lesern von ETM helfen, das eigene Institut in diesem Prozess zu positionieren.

Einleitung

Das Hochschulwesen in Europa ist in Bewegung und wird mit tiefgreifenden Veränderungen konfrontiert. In Kürze sollen neue gestufte Studiengänge mit den Abschlüssen Bachelor und Master die vertrauten Diplomstudiengänge verdrängen und ersetzen. Nicht zu Unrecht schrieb Cornelia Wohlhüter in der Passauer Neuen Presse vom 6.5.2004: „Da findet gerade eine Revolution an den europäischen Universitäten statt. Und die Öffentlichkeit nimmt kaum Notiz davon.“

Der Begriff Revolution ist vielleicht übertrieben, da historisch beladen, aber die Reichweite des Reformprozesses überschreitet sogar deutlich den Bereich der Universitäten.1 Betroffen ist nämlich das gesamte Hochschulwesen, und das schließt auch Fachhochschulen bzw. den Sektor nicht-universitärer höherer beruflicher Bildung ein. So sind im Bereich theologischer Ausbildungsgänge nicht nur die theologischen Fakultäten und Hochschulen vom Bologna-Prozess erfaßt, sondern – direkt oder indirekt – auch theologische Seminare und Bibelschulen.

Führt nun diese europaweite Reformbewegung zu einer faden Vereinheitlichung oder „McDonaldisierung des Magisters“2, und was bedeutet dies alles für die theologische Ausbildung? Im Folgenden soll dieser Fragenkomplex berührt werden, indem zunächst der Bologna-Prozess umrissen wird, dann die unterschiedliche Situation in Deutschland und den niederländischsprachigen Ländern angedeutet wird und schließlich einige Implikationen für das Theologiestudium bedacht werden.

Der Bologna-Prozess: Paris – Bologna – Prag – Berlin – Bergen

Obwohl sich der Begriff „Bologna-Prozess“ für die Bezeichnung der europäischen Hochschulreformen seit Ende der 90-er Jahre eingebürgert hat, könnte man auch vom „Sorbonne-Prozess“ sprechen.3 Denn initiiert wurde dieser Prozess mit der Unterzeichung der Sorbonne-Erklärung („Joint Declaration on Harmonisation of the Architecture of the European Higher Education System“) am 25. Mai 1998 anlässlich der 800 Jahr Feier der Sorbonne in Paris.4 Unterzeichner waren die zuständigen Minister der vier größten EU-Staaten, nämlich Frankreichs, Italiens, Großbritanniens und der Bundesrepublik Deutschland (Jürgen Rüttgers, CDU). Ging es der Lisabonner Konvention 1997, wie schon der Titel zeigt, noch vor allem um die „Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region“, so sollte nun ein europaweit kompatibles Hochschulsystem geschaffen und ein „europäischer Hochschulraum“ konstituiert werden („open European area for higher learning“).

Mit der Bologna-Erklärung („The European Higher Education Area“ vom 16. Juni 1999 folgten 25 weitere Länder dem abschließenden Aufruf der Sorbonne-Erklärung, sich den dort formulierten Zielen anzuschließen. Damit waren nunmehr alle heutigen Mitgliedstaaten der EU außer Zypern, sowie zusätzlich Bulgarien, Island, Norwegen, Rumänien und die Schweiz in den Bologna-Prozess integriert. Diese Länder kamen überein, bis Ende 2010 konkrete harmonisierende Maßnahmen zu ergreifen wie die Einführung (1) eines gestuften Studiensystems (undergraduate/graduate), (2) eines mit dem „European Credit Transfer System“ (ECTS) kompatiblen5 kumulativen Leistungspunktesystems, und (3) leicht verständlicher und vergleichbarer Diplome mit Diploma Supplement (= Beschreibung des Ausbildungsganges). Gleichzeitig sollte (4) die europäische Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung, (5) die Mobilität von Studierenden und Lehrenden sowie (6) die europäische Dimension im Hochschulbereich insgesamt gefördert werden.

Einige dieser Maßgaben waren im Hochschulwesen verschiedener Länder bereits fest verankert. So stammt das System zweistufiger Studienzyklen aus dem angelsächsischen Bereich, wobei die Begriffe Bachelor und Master übrigens in der Bologna-Erklärung nicht vorkommen. Und das ECTS-Leistungspunktesystem und das Diploma Supplement waren in der Flämischen Gemeinschaft Belgiens nach mehrjährigen ERASMUS/SOCRATES Pilotprojekten bereits Anfang der 90-er Jahre für alle Hochschulen gesetzlich festgelegt – ein Umstand, auf den das kleine Flandern nicht ohne einen gewissen Stolz gerne hinweist.6 Neu ist hingegen die intendierte Ausweitung dieser Systeme auf den gesamten europäischen Hochschulraum innerhalb weniger Jahre.7

Bisher gab es zwei Bologna-Folgekonferenzen. Am 19. Mai 2001 unterzeichneten in Prag 32 Länder – dazugekommen waren Kroatien, die Türkei, Zypern und jetzt auch offiziell Liechtenstein – das Communiqué „Towards the European Higher Education Area“. Dabei lag der Schwerpunkt auf dem Konzept des lebensbegleitenden oder lebenslangen Lernens (LLL), einer Einbindung der Studierenden bei der Hochschulverwaltung und der Förderung der Attraktivität des europäischen Hochschulraums. Die zweite Folgekonferenz fand am 18. und 19. September 2003 in Berlin statt. Das Berliner Communiqué 2003 „Realising the European Higher Education Area“ stellt einen wichtigen Meilenstein dar, da einerseits eine Zwischenbilanz gezogen wurde und anderseits konkrete Schwerpunkte für die nächsten zwei Jahre festgelegt wurden: Die möglichst flächendeckende Einführung eines zweistufigen Studiensystems (und später des Doktorandenstudiums als tertiäre Stufe) sowie einer Qualitätssicherung bzw. Akkreditierung im Hochschulbereich. Außerdem solle die gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen realisiert werden. Seit Berlin wird der Bologna-Prozess von 40 Ländern getragen – hinzugekommen ist neben sechs weiteren osteuropäischen Ländern bis hin nach Rußland auch der Vatikan. Auf der nächsten Folgekonferenz im Mai 2005 in Bergen soll dann die Halbzeitbilanz gezogen werden – die entsprechende Website ist bereits freigeschaltet.8

Rechtlich gesehen handelt es sich bei diesen Dokumenten nicht um verbindliche völkerrechtliche Verträge, sondern lediglich um Absichtserklärungen. Um so mehr fällt auf, daß sich die Hochschulsysteme der verschiedenen Länder Europas in den letzten fünf Jahren tatsächlich deutlich einander angenähert haben, wie eine aufwendige Eurydice-Untersuchung nachweist.9 Dabei dürften ökonomische Motive eine wichtige Rolle spielen. In den rechtlich verbindlichen Schlußfolgerungen des Spitzentreffens des Europarats in Barcelona 2002 nämlich wird die Durchführung des Reformprozesses im Hinblick auf wirtschafts- und beschäftigungspolitische Interessen angemahnt – interessanterweise auch für den Bereich der beruflichen Bildung.10 Auch in der Bologna-Erklärung selbst und den Communiqués findet sich der entscheidende Begriff der „employability“. In Europa gibt es einerseits einen dringenden Bedarf an qualifizierten Hochschulabgängern, andererseits stehen die Hochschulen vor budgetären Engpässen. Käme da nicht eine Reduzierung der normalen Studiendauer auf drei Jahre gelegen?

Bachelor als Regelabschluß? Gestufte Studiengänge in Deutschland

Das Hochschulrahmengesetz vom 20. August 1998 eröffnete die Möglichkeit, Bachelor- bzw. Bakkalaureus (3–4 Jahre) und Master- bzw. Magisterstudiengänge (1–2 Jahre) „zur Erprobung“ einzuführen (BGBl. I S. 18). Vier Jahre später wurde der Zusatz „zur Erprobung“ gestrichen, womit die neuen Studiengänge ins reguläre Studienangebot überführt wurden (BGBl. I S. 3138). Im Sommersemester 2003 machten die neuen Studiengänge (Bachelor und Master) ungefähr 15% des Studienangebots aus, wobei die Mehrzahl parallel zu den bestehenden Studiengängen eingerichtet wurde. Im Januar 2003 war von diesen Studiengängen jedoch nur eine kleine Minderheit akkreditiert. Die weitaus meisten Studierenden entscheiden sich gegenwärtig noch für das alte Studienmodell: Im Wintersemester 2001/2002 waren nicht mehr als 2,7% der Studierenden in einen Bachelor- oder Masterstudiengang eingeschrieben. Dabei war nur ein Viertel dieser Studiengänge inhaltlich auf die jeweils andere Studienstufe bezogen im Sinne konsekutiver Studiengänge.11

Eine Studie des Deutsche Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) bezeichnet noch 2002 die Einführung der neuen Studiengänge als einen „höchst dynamische[n] Prozess mit offenem Ausgang“. Es sei auch noch unklar, ob sie überhaupt „in sämtlichen Fachrichtungen Fuß fassen“ würden: „Einige Fächer wie Kunst, Musik und Theologie stehen den neuen Studiengängen besonders skeptisch gegenüber.“12

Trotz Berlin 2003 dominiert in Deutschland gegenwärtig die Option eines Parallelsystems, auch wenn inzwischen die Länder Baden-Württemberg und Hamburg die flächendeckende Transformation der Studienstrukturen zu gestuften Studiengängen angekündigt haben. Akkreditierung, ein Leistungspunktesystem mit entsprechender Modularisierung statt der großen Abschlußexamina, und möglicherweise selbst das Diploma Supplement wären dann an die sich langsam durchsetzenden neuen Studiengänge gekoppelt, nicht aber an das parallel weiterbestehende alte System. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Deutschland sich damit nicht auf Dauer vom Ausland isolieren würde, zumal die meisten Nachbarländer wie auch die Schweiz noch vor Bergen 2005 in allen Fachrichtungen auf das neue System übergehen wollen.

Andererseits gibt es in Deutschland die Tendenz einer Radikalisierung der Vorgaben des Bologna-Prozesses. So wollen die „Strukturvorgaben“ der Kultusministerkonferenz vom 10. Oktober 2003 das Masterstudium „von weiteren Zwangsvoraussetzungen“ abhängig machen und den Bachelor als Regelabschluß vorsehen, der „für die Mehrzahl der Studierenden zu einer ersten Berufseinmündung“ führe.13 Vor diesem Hintergrund wird die Besorgnis vieler Theologieprofessoren verständlich.14 Denn wie soll in nur drei Jahren ein sinnvolles Theologiestudium bewältigt werden? Ein Blick in die niederländischsprachigen Nachbarländer zeigt jedoch, daß der Bologna-Prozess auch durchaus anders umgesetzt werden kann.

Fünfjähriges Universitätsstudium – konsekutive Studiengänge im niederländischen Sprachraum

Der niederländische Sprachraum, der die Niederlande und die flämische Gemeinschaft im Föderalstaat Belgien umfaßt, kennt im Hochschulwesen viele Gemeinsamkeiten. Die flämische Gemeinschaft, die seit 1989 in der Bildungspolitik fast völlig autonom ist und die grundlegenden Dokumente des Bologna-Prozesses jeweils selbst unterzeichnen durfte, orientiert sich seit einigen Jahren weitaus mehr an den Niederlanden als an der wallonischen oder deutschen Gemeinschaft Belgiens. So werden fortan in beiden Ländern alle Hochschulstudiengänge in regelmäßigen Abständen – alle sechs bzw. acht Jahre – von einer gemeinsamen „Niederländisch-Flämischen Akkreditierungsorganisation“ akkreditiert werden.15 Beide Partner sehen auch kein Parallelsystem neuer und traditioneller Strukturen vor, sondern haben bereits mit der flächendeckenden Einführung konsekutiver und gestufter Studiengänge begonnen, wobei die traditionellen Studiengänge nach und nach abgebaut werden.

In den Niederlanden ist das gestufte Studiensystem mit Bachelor- und Master-Abschlüssen 2002 per Gesetz in Kraft getreten. Bis auf wenige Ausnahmen wurden die bisherigen einphasigen Studiengänge im gesamten universitären Hochschulsektor in gestufte Studiengänge umgewandelt, wobei die konsekutive Folge und enge inhaltliche Verzahnung beider Studienstufen die Regel darstellt (3+1 oder 3+2; bei der Pfarrerausbildung 3+3 Jahre). Die den deutschen Fachhochschulen vergleichbare nicht-universitäre höhere berufliche Bildung (HBO) wurde in vierjährige Bachelor-Studiengänge umstrukturiert (der sog. professionelle Bachelor im Unterschied zum akademischen Bachelor der Universitäten). Das frühere Leistungspunktesystem wurde jeweils an das ECTS-System angeglichen, und auch das Diploma Supplement und die Förderung lebenslangen Lernens sind fest eingebürgert.

In Flandern wurde das Hochschulwesen durch das Hochschulgesetz vom 4. April 2003 grundlegend reformiert. Mit dem Studienjahr 2004/05 wurden an sämtlichen Universitäten und nicht-universitären Hochschulen die neuen Studiengänge alternativlos für alle Fachbereiche eingeführt. Bis 2010 soll die unvermeidliche Übergangsphase abschlossen sein. Da die Zulassungsbedingungen an allen Hochschulen dieselben sind und traditionell auch an einigen nicht-universitären Hochschulen ein Licentiaatsdiplom erworben werden konnte, können diese Hochschulen auch Masterstudiengänge anbieten. Um zu gewährleisten, daß auch diese Studiengänge an nicht-universitären Hochschulen von wissenschaftlicher Forschung getragen sind, wurden die Universitäten dazu verpflichtet, sich mit nicht-universitären Hochschulen in „Verbänden“ („associaties“) zusammenzuschließen. Dabei erhielten die beiden protestantischen Fakultäten in Brüssel (UFPG) und Löwen (ETF) einen Sonderstatus: Da es in Flandern kein nicht-universitäres Theologiestudium gibt, knnten diese universitären Hochschulen auch keine solchen Verbände gründen.16

Wichtig ist nun, daß noch konsequenter als in den Niederlanden ein grundlegender Unterschied zwischen akademischen und professionellen Studiengängen gesehen wird.17 Akademische Studiengänge gibt es sowohl an universitären als auch – im Rahmen der „Verbände“ an nicht-universitären Hochschulen, professionelle Studiengänge hingegen gibt es nur an nicht-universitären Hochschulen. Der Hauptunterschied zwischen beiden besteht darin, daß ein akademischer Bachelor eng verzahnt ist mit wissenschaftlicher Forschung und primär auf ein Masterstudium vorbereitet, und erst in zweiter Linie eventuell berufsqualifizierend sein kann. Jedem akademischen Bachelorstudiengang ist daher mindestens ein Masterstudiengang zugeordnet, in den jeder Bachelorabsolvent direkt und übergangslos einsteigen können muss. Folgerichtig sind alle Masterstudiengänge per definitionem akademisch ausgerichtet. Ein professioneller Bachelor ist hingegen primär berufsqualifizierend. Für ein Weiterstudium in einem inhaltlich verwandten Masterstudiengang wäre für den Absolventen eines professionellen Bachelors in jedem Fall ein Vorbereitungsprogramm von mindestens 45 ECTS-Punkten (= 1,5 Semester) erforderlich. Bei der Umstrukturierung der Studiengänge mußte daher jede Hochschule angeben, welche Masterstudiengänge direkt an welche Bachelorstudiengänge anschließen, und wo Vorbereitungsprogramme in welchem Umfang erforderlich sind. All diese und weitere relevante Angaben wurden in ein offizielles Register aufgenommen, das im Internet frei recherchierbar ist – dort finden sich auch entsprechende Angaben zur ETF.18 Was sind nun die Implikationen eines solchen Modells für das Theologiestudium?

Einige Implikationen für das Theologiestudium

Die konsequente Koppelung gestufter Studiengänge an das konsekutive Modell im niederländischen Sprachraum läßt auch in der reformieren Struktur Raum für ein integrales, studiengangübergreifendes Theologiestudium. So sind das Theologiestudium und die Pfarrerausbildung an der ETF in Löwen wie auch an anderen vergleichbaren Fakultäten in Flandern und den Niederlanden weiterhin auf insgesamt fünf Jahre angelegt (3+2).19 Andererseits kann auch der Bachelorabschluss in gewisser Weise berufsqualifizierend sein, etwa im Fachbereich des Religionsunterrichts. Die ETF trägt dieser Situation Rechnung, indem sie jeweils drei Studienprofile für das Bachelor- und Masterstudium anbietet: das Profil Bibel & Theologie bietet eine klassisch-wissenschaftliche Orientierung, das Profil Kirche & Pastorat bereitet auf das Gemeindediakonat (Bachelor) bzw. das Pfarramt (Master) vor und Religion & Pädagogik bietet eine religionswissenschaftliche bzw. religionspädagogische Orientierung, die mit zusätzlichen Modulen etwa auf den Religionsunterricht in der Unterstufe (Bachelor) oder gymnasialen Oberstufe (Master) vorbereitet. Gleichzeitig fördert, wie wir an der ETF erfahren, die Zweistufigkeit des Studiums tatsächlich die Studentenmobilität.20

Da sich das ECTS-Leistungspunktesystem und eine damit einhergehende Modularisierung der Studienstruktur an den flämischen Hochschulen schon in den letzten zehn Jahren bewährt haben, sind bei der Studienreform keine größeren Qualitätseinbußen für die Studierenden zu befürchten. Im Gegenteil: Der in der Praxis vielleicht bedeutsamste Einschnitt ist die Akkreditierungspflicht, die, richtig verstanden, qualitätsverbessernd wirken kann. Dabei soll nicht verkannt werden, daß Akkreditierungsverfahren durchaus doppelwertig sein können: sie können einerseits verkrustete Strukturen aufbrechen und inhaltliche Kräfte der einzelnen Disziplinen freisetzen, anderseits aber auch zu einer Bürokratisierung und von opportunistischen Managern verwalteten reinen Quantifizierung des „outputs“ von Forschung und Lehre führen.21 Diese Gefahr ist jedoch nicht unvermeidbar, wie positive Beispiele angelsächsischer Ausbildungsstätten zeigen, die seit Jahren mit solchen Verfahren arbeiten.22

Im Unterschied zur oben zitierten „Strukturvorgabe“ der deutschen Kultusministerkonferenz, die dem Masterstudium eine Ausnahmeposition beimessen und an „weitere Zwangsvoraussetzungen“ binden möchte, kann das skizzierte System des niederländischen Sprachraums – ähnlich wie auch die Umsetzung in der Schweiz – der Forderung der Europa-Konsultation der Leuenberger Kirchengemeinschaft gerecht werden. Dieses System einer Zweistufigkeit, die gleichzeitig übergangslos durchlaufen werden kann, könnte Modell stehen für die Theologenausbildung an deutschen Hochschulen und Seminaren. Ich zitiere abschließend aus dem Schluß-Communiqué der „Leuenberger“ Europa-Konsultation, die von Vertretern aus 15 Ländern fast zeitgleich mit der Berliner Bildungsministerkonferenz im September 2003 im Bonhoeffer-Haus in Berlin formuliert wurde: „Im Blick auf die Forderung der Konferenz der europäischen Kultusminister, bis 2010 in Europa generell die konsekutiven Studiengänge (Bachelor/Master) einzuführen, wird mit großem Nachdruck empfohlen, als Voraussetzung für die Einstellung als Pfarrer oder Pfarrerin mindestens den Masterabschluss festzuschreiben. Ein schon nach einem dreijährigen Studium erreichbarer Bachelorabschluss kann nicht als Berufsqualifikation für den Pfarrdienst gelten, da er die europaweit von den evangelischen Kirchen gefoderten Ausbildungsstandards nicht erfüllt. Diese Feststellung bedeutet, dass der Masterstudiengang allen Studierenden, die den Pfarrdienst anstreben, offen gehalten und einer Quotierung des Übergangs von der Bachelor- zur Masterphase energisch widersprochen werden muss.“23


1 In einem Dokument des Europarats wird der Bologna-Prozess immerhin als „the most important and wide ranging reform of higher education in Europe since the immediate aftermath of 1968“ bezeichnet (Council of Europe, Steering Committee for Higher Education and Research (2002): The Bologna Process: Achievments an Challenges. Secretariat discussion document by the Directorate General IV. Strasbourg, S. 3).

2 Welbers, Ulrich. „Die McDonaldisierung des Magisters?! Überlegungen zum Zusammenhang von B.A.-Debatte und Studienreformdiskussion anhand eines Reformmodells im Magister-Studiengang“. In Frauke Gützkow (Hrsg.). Als Bachelor fitter für den Arbeitsmarkt? Über die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen an deutschen Hochschulen. Dokumentation des GEW Wissenschafts Forums, 10. bis 12. Juli 1998, Bonn. Materialien und Dokumente, Hochschule und Forschung, 92 (Frankfurt a. M.: GEW Vorstandsbereich Hochschule und Forschung, 1998), 41–61.

3 Die „Schlussfolgerung des Vorsitzes“ der Barcelona-Konferenz des Europäischen Rats (2002) spricht korrekt vom „Sorbonne-Bologna-Prag-Prozess“ (http://www.europarl.eu.int/bulletins/pdf/01s2002_de.pdf, [11. Oktober 2004]). Nach dem Berlin Communiqué 2003 wäre die vollständige Bezeichnung: „Sorbonne-Bologna-Prag-Berlin-Prozess“.

4 Alle in diesem Abschnitt erwähnten Erklärungen und Communiqués finden sich im Internet unter http://www.berlin-bologna2003.de und http://www.bergen-bologna2005.no, jeweils unter „Main Documents“. Ich verzichte darauf, die Dokumente im Einzelnen zu zitieren.

5 vgl. http://europa.eu.int/comm/education/programmes/socrates/ects_en.html [11. Oktober 2004].

6 Als flämische wissenschaftliche Hochschule und ERASMUS/SOCRATES-Mitglied hat damit auch die Evangelisch-Theologische Fakultät in Löwen-Heverlee (ETF) langjährige Erfahrung mit diesem System (vgl. http://www.etf.edu).

7 Vgl. noch 1990 Ulrich Teichler, Europäische Hochschulsysteme: Die Beharrlichkeit vielfältiger Modelle (Frankfurt a.M. und New York: Campus, 1990).

8 Siehe Anm. 3.

9 Im Blickpunkt: Strukturen des Hochschulbereichs in Europa 2003/04 Nationale Entwicklungen im Rahmen des Bologna-Prozesses (Brüssel: Eurydice, 2003). Die Studie ist auch im Internet erhältlich unter http://www.eurydice.org/Doc_intermediaires/analysis/de/focus_frameset_DE.html [11. Oktober 2004].

10 Siehe Anm. 2, und dort die Artikel 43 und 44.

11 Vgl. Hochschulrektorenkonferenz 2003: Im europäischen Hochschulraum – Sachstand und Strategien der deutschen Hochschulen in Vorbereitung der Berlin-Konferenz am 18./19. September 2003 (Bonn 2003), erhältlich unter http://www.hrk.de/de/download/dateien/Bolognapapier_final.pdf [11. Oktober 2004].

12 Johanna Witte, Johanna, Anne Klemperer und Marijk van der Wende, Marijk (Hrsg.), Die Einführung von Bachelor- und Master-Programmen an deutschen Hochschulen, Dok & Mat, 3 (Bonn: DAAD, 2002), 77. DAAD = Deutscher Akademischer Austausch Dienst.

13 „Strukturvorgaben für die Einführung von Bachlor-/Bakkalarues- und Master-/Magisterstudiengüngen“, Bonn, 10. Oktober 2003; http://www.hrk.de/2351.htm [11. Oktober 2004].

14 Vgl. Heinric de Wall, „Die Evangelisch-theologischen Fakultäten in der Hochschulreform – staatskirchenrechtliche Aspekte“, Zeitschrift für Theologie und Kirche 101 (2004): 218–236, hier 218: „Seit Jahren leidet die Wissenschaft an den deutschen Universitäten in Forschung und Lehre an einer nicht enden wollenden Kette immer neuer Einfälle, die mehr vom Ehrgeiz der handelnden Politiker zeugen als von der nötigen Sachkompetenz und Einsicht in die Funktionsbedingungen und die Vielfalt der Wissenschaft.“

15 Die letztgültige Ratifizierung der nederlands-vlaamse accreditatie organisatie (NVAO) ist nur noch eine Formalität (http://www.nvao.net).

16 Die ETF arbeitet jedoch in ähnlicher Weise eng zusammen mit „Ede Christian University“, einer niederländischen nicht-universitären Hochschule die auch im Bereich der Theologie ausbildet.

17 In Deutschland ist die ähnliche Unterscheidung zwischen Forschungsorientierung und Anwendungsorientierung üblich, aber die Implikationen sind anders.

18 Siehe die Website http://www.hogeronderwijsregister.be.

19 In den Niederlanden gibt es einerseits auch ein vierjähriges Theologiestudium (3+1), andererseits jedoch setzt dort das Pfarramt in den meisten Kirchen ein sechsjähriges Theologiestudium voraus (3+3).

20 Die ETF unterhält Kontakte mit einigen anderen europäischen Ausbildungsstätten, von denen regelmäßig mehrere Studierende in den internationalen Masterstudiengang der ETF einsteigen.

21 In dieser Hinsicht sind die Bedenken von De Wall, „Die Evangelisch-theologischen Fakultäten“, 218–236 durchaus berechtigt. De Wall informiert übrigens ausführlich über die staatskirchenrechtliche Sonderstellung der evangelisch-theologischen Fakultäten in Deutschland. Diese interessante Problematik würde den Rahmen des vorliegenden Aufsatzes sprengen.

22 Man denke etwa auch an einige gute theologische Seminare in den USA.

23 Das Communiqué "Die Ausbildung zum ordinationsgebundenen Amt in der Leuenberger Kirchengemeinschaft" (Berlin 2003) findet sich auch im Internet unter http://www.ekd.de/aktuell_presse/gliedkirchen_andere_pm182_2003_lkg_velkd_berufsqualifikation.html.

 

 
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 10/2 (2004)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie
16.03.2005 – http://www.afet.de