Hoffnung des Glaubens in den Tagen des Terrors

Eine biblisch-theologische Orientierung
angesichts der Verbrechen des 11. September 2001

Rolf Hille

1. Die weltweite Erschütterung und Bedrohung

Die Feuerzeichen von New York und Washington erschüttern uns weltweit. Kommentatoren sprechen mit guten Gründen von apokalyptischen Ereignissen inmitten unserer hochtechnisierten Moderne. Sie treffen damit den Kern des Geschehens.

Apokalyptische Ereignisse inmitten der hochtechnisierten Moderne In keinem anderen Staat der Weltgeschichte sind – ungeachtet aller Mängel und Irrtümer – technischer Fortschritt, aufgeklärte Toleranz und christliche Grundwerte eine so glückliche Verbindung eingegangen wie in den USA: Ein Land individueller Freiheit, wirtschaftlichen Überflusses und höchsten technischen Standards. Aber alle diese vermeintlichen Sicherheiten gerieten in Sekundenschnelle mit dem Aufprall selbstmörderisch gesteuerter Flugzeuge ins Wanken. Die eingestürzten Türme des World Trade Center begruben die Illusion vom selbstverständlichen Fortschritt und Glück in der modernen Welt unter sich. Deutlich ist vielmehr, dass die stetige Höherentwicklung der Zivilisation unser Leben gleichzeitig immer verwundbarer macht. Je perfektionierter die Technik, desto leichteres Spiel haben gewissenlose Terroristen, sie mit brutalen Anschlägen zu zerstören. Die Folgen sind entsprechend verheerend. Die Bibel kennzeichnet diese Verwundbarkeit mit den ernüchternden Worten: „Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben!“ (Ps 39,6). Paulus hat dieses endzeitliche Szenario umschrieben: „Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, dann wird sie das Verderben schnell überfallen wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entfliehen.“ 1.Thess 5,3.

2. Solidarität mit dem amerikanischen Volk

Die Solidarität mit dem amerikanischen Volk ist jetzt besonders wichtig und geboten, denn in den Terroranschlägen hat sich ein niederträchtiger Hass vor allem gegen die USA offenbart. Dass gerade die USA so sehr die Feindschaft der Terroristen auf sich gezogen haben, kommt nicht von ungefähr. Die Amerikaner verstehen sich als „one nation under God“. Die Gründerväter und zahllose Christen nach ihnen, die als Emigranten in die Vereinigten Staaten auswanderten, kamen als bewusste Christen, um in Nordamerika Glaubens- und Gewissensfreiheit zu finden. Die Ideale der Demokratie und Menschrechte sind einerseits durch die europäische Aufklärung, zum anderen aber auch ganz stark von der christlichen Ethik und dem christlichen Menschenbild bestimmt. Und genau diese Werte wurden von den Verbrechern des 11. September aus ideologischen Motiven ganz gezielt mit Füßen getreten und bekämpft. Hinzu kommt, dass die Vereinigten Staaten in den letzten beiden Jahrhunderten den größten Beitrag zur Weltmission geleistet haben, was in vielen Ländern Afrikas und Asiens den Widerstand von Moslems besonders provoziert hat. Außerdem sind die Amerikaner nach dem Holocaust konsequent für das Lebensrecht des Volkes Israel eingetreten. So leben allein in New York zwei Millionen Juden, mehr als in Jerusalem und Tel Aviv zusammen. Gerade diese Tatsachen haben die USA zum lohnenden Angriffsziel für extreme Moslems werden lassen. Weil all diese Gründe zutiefst mit den Werten der christlichen Tradition zusammenhängen, sollten evangelikale Christen gerade jetzt in Gebet und Tat fest zu den USA stehen.

3. Die Enthüllung der „abgründigen“ Macht des Bösen im Terror von New York und Washington

Paulus redet unmissverständlich davon, dass in der Weltgeschichte „der Mensch der Bosheit“ offenbar wird (2. Thess 2,3). Das Böse in seiner dämonischen Abgründigkeit verdichtet sich gewissermaßen in geschichtlichen Gestalten wie Nero, Napoleon, Hitler, Stalin, Pol Pot oder Hussein. Erschreckend ist, dass sich die blutige Spur von der Antike bis zur Gegenwart durchzieht – und zwar allen humanistischen Bemühungen um die Erziehung eines besseren Menschen zum Trotz. Das bedeutet keineswegs, dass das Ringen um Menschen, die nach Gottes Geboten leben, vergeblich oder gar überflüssig wäre. Immer neue Verbrechen widersprechen jedoch der idealistischen Vision vom guten Menschen, der am Ende innerweltlichen Fortschritts steht. Die dämonische Fratze des Terrorismus weist vielmehr darauf hin, dass das Böse auf die Erscheinung des Antichristus, d.h. des Gegenspielers zu Christus, zuläuft. Die Schrecken des 11. September 2001 haben diese Tatsache wie ein plötzlich auftretendes Gewitter ins grelle Licht der Zeitgeschichte gerückt.

4. Der Unterschied zwischen dem islamistischen Fundamentalismus und den Lehren des Koran

Die Terroristen geben vor, entsprechend den Grundsätzen und Zielen des Islam zu handeln. Aber ihre Taten lassen sich nicht einfach mit den Weisungen des Koran begründen. Deshalb muss man fairerweise zur Kenntnis nehmen, dass sich die Verbrecher des 11. September nur missbräuchlich auf den Koran berufen können. Zwischen der klassischen islamischen Rechtsgemeinde (umma) und dem politisch orientierten islamistischen Fundamentalismus muss unterschieden werden. Das ist insgesamt für die Bewertung des Islam in allen seinen Spielarten wichtig. Gewaltbereiten Fundamentalismus findet man im 21. Jahrhundert leider als Irreführung von Menschen im Bereich aller Weltreligionen: so z.B. im Hinduismus (Indien); im Buddhismus (Skri Lanka), im Judentum (Israel) und auch im Christentum (Nordirland). Entscheidend ist, dass es dabei nirgends um echte Erneuerung der jeweiligen Religion, sondern immer um menschenverachtende Politisierung dieser Religionen geht. Eine wesentliche geistige Voraussetzung für die Entstehung von Fundamentalismen aller Art ist der zivilisatorische Konflikt mit der Moderne. Letztere ist durch kritische Wissenschaft, technologischen Fortschritt, individuelle Freiheitsrechte, pluralistische Gesellschaften und nicht selten durch Religionskritik gekennzeichnet. (Was dieser Konflikt für die Auseinandersetzung zwischen biblisch orientiertem Christentum und Moderne bedeutet, kann allerdings hier nicht weiter erörtert werden.) Die Moderne löst nun – nicht zuletzt bei vielen Menschen islamischen Glaubens – einerseits Verunsicherung sowie Angst und andererseits Verachtung für den säkularisierten dekadenten Westen aus. Die radikalen Islamisten nutzen diese Stimmungslage, um zunächst in ihren Ländern islamische Revolutionen nach dem Vorbild des Iran voranzutreiben. Man sollte in diesem Zusammenhang deshalb nicht übersehen, dass sich zahlenmäßig das schlimmste Ausmaß des islamistischen Terrorismus auf Menschen muslimischen Glaubens bezogen hat; so z.B. in Algerien und Ägypten oder den Palästinensergebieten. Das weitreichende Ziel der Islamisten geht jedoch über die islamischen Länder hinaus und zielt auf die weltweite Durchsetzung des Islam. Sie kämpfen für eine „islamische Gottesherrschaft“ und bekämpfen jede demokratische Staatsform. Nach ihrer Überzeugung widerspricht nämlich die Herrschaft des Volkes, also die Demokratie, der souveränen Herrschaft Allahs. Die Islamisten möchten jede zivile Rechtsprechung durch die Scharia, d.h. das tradierte religiös bestimmte Recht des Islam, ersetzen und sie erstreben die universale Durchsetzung der islamischen Religionsgesetze langfristig auch in den nichtislamischen Staaten. Zur Verwirklichung dieser Ziele scheuen sie auch vor Massenmord an Zivilisten nicht zurück. Deshalb muss die internationale Staatengemeinschaft entschlossen die Verbrecher überführen und bestrafen. Dazu bedarf es des gemeinsamen Kampfes gegen jedwede Form des Terrorismus.

5. Das Problem der Legitimität politischer Gewaltanwendung im Islam und im Christentum

Die Lehren des Koran und der islamischen Tradition sind hinsichtlich der Frage nach politischer Macht und der Anwendung von Gewalt in ihrer Differenzierung genau zu beachten.

Erstens gilt, dass die islamische Rechtsgemeinde, die umma, eine alle Lebensbereiche umfassende Gemeinschaft ist, in der Politik und Religion eine unlösbare Einheit bilden. Die politische Predigt kennzeichnet deshalb die Grundform der islamischen Verkündigung beim Freitagsgebet in der Moschee.

Zweitens räumte Mohammed den sogenannten „Schriftbesitzern“, nämlich Juden und Christen, innerhalb der umma gewisse Rechte ein und tolerierte sie teilweise: „Wir haben die Tora hinabgesandt, in der Rechtleitung und Licht enthalten sind ... für die, die Juden sind ... Und ließen nach ihnen Jesus, den Sohn Marias folgen, damit er bestätige, was von der Tora vor ihm vorhanden war ... Die Leute des Evangeliums sollen nach dem Urteilen, was Gott darin herabgesandt hat ... Und wir haben zu dir (sc. Muhammad) das Buch mit der Wahrheit hinabgesandt, damit es bestätige, was vom Buch vor dir vorhanden war.“ (Sure 5, 44.46.47.48). Es konnten und können aber in islamischen Ländern Juden und Christen spezielle Steuern auferlegt werden. Insgesamt können Juden und Christen besonders aufgrund der in Mekka verfassten Suren ihren Glauben für sich privat bzw. in christlichen Gemeindehäusern und Kirchen leben, solange sie nicht unter Muslimen missionieren. Umgekehrt werden aber Juden und Christen zur Bekehrung zum Islam aufgefordert: „Ihr (d.h. die Moslems) seid das beste Volk, hervorgebracht zum Wohl der Menschheit; ihr gebietet das Gute und verwehrt das Böse und glaubt an Allah. Und wenn das Volk der Schrift auch (diese Anweisung Allahs) annähme, wahrlich würde es ihnen besser frommen. Manche von ihnen nehmen (sie) an, doch die meisten ihrer sind ungehorsam.“ (Sure 3,110). Hier liegt ein wesentlicher Grund, weshalb die einst blühenden Kirchen Nordafrikas und des nahen Ostens fast ganz islamisiert wurden.

Drittens ruft Mohammed gegenüber den Heiden bzw. Götzendienern zum heiligen Krieg auf, d. h. Angehörige animistischer oder polytheistischer Kulte sollen zumindest innerhalb der islamischen Rechtsgemeinschaft verfolgt werden ebenso wie Hindus, Buddhisten oder Atheisten: „Und wenn die verbotenen Monate verflossen sind, dann tötet die Götzendiener, wo ihr sie trefft, und ergreift sie, und belagert sie, und lauert ihnen auf in jedem Hinterhalt. Bereuen sie aber und verrichten das Gebet und zahlen sie Zakat, dann gebt ihnen den Weg frei. Wahrlich, Allah ist allverzeihend, barmherzig.“ (Sure 9, 5); „Die, welche glauben und auswandern und mit ihrem Gut und ihrem Blut kämpfen für die Sache Allahs, die nehmen den höchsten Rang ein bei Allah, und sie sind es, die Erfolg haben. Ihr Herr verheißt ihnen Barmherzigkeit und Sein Wohl gefallen [sic!] und Gärten, worin ewige Wonne ihr sein wird. Dort werden sie ewig und immerdar weilen. Wahrlich, Allah ist großer Lohn.“ (Sure 9, 20-22). Bei schwerer Strafe ist es hingegen verboten, einen Moslem zu töten, weshalb islamische Terroristen, die auch tausende von Moslems umgebracht haben, diese zuvor zu „Ungläubigen“ erklären, bevor sie sie ermorden. Denn im Koran heißt es: „Kein Gläubiger darf einen (anderen) Gläubigen töten, es sei denn (er tötet ihn) aus Versehen. ... Und wenn einer einen Gläubigen vorsätzlich tötet, ist die Hölle sein Lohn, dass er (ewig) darin weile. Und Gott ist (?) zornig auf ihn und hat (?) ihn verflucht, und er hat (im Jenseits) eine gewaltige Strafe für ihn bereit.“ (Sure 4, 92-93). Mohammed selbst hat zur Durchsetzung seiner islamischen Theokratie in Medina mehrere Kriege geführt und auch einzelne politische Gegner umbringen lassen.

Bei einem sachlichen Vergleich zwischen Christentum und Islam wird man sicher darauf hinweisen können, dass es in beiden Religionsgemeinschaften im Laufe der Jahrhunderte viele blutige Verfolgungen, gewaltsame Unterdrückungen und Kriege, die sich auf göttliches Recht beriefen, gegeben hat. Schaut man sich jedoch die Gründungsurkunden beider Religionen, also das Neue Testament und den Koran, als die maßgeblichen Quellen an, so erweist sich, dass der Koran unter bestimmten Voraussetzungen politische Gewaltanwendung erlaubt und zum Teil sogar gebietet. Jesus hat demgegenüber physische oder militärische Gewalt als Mittel innerhalb seiner Gemeinde und durch seine Gemeinde stets strikt abgelehnt. Er rief vielmehr zur Fürbitte für die Verfolger und zur Feindesliebe auf. In seinem Gespräch mit dem römischen Prokurator Pontius Pilatus hat Jesus klar bekannt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von dieser Welt.“ (Jh 18,36). Die Gemeinde Jesu Christi lebt als Diaspora in der Welt, ist aber nicht von der Welt. Deshalb weicht jeder vom Weg Jesu ab, der geistliche Ziele mit den Mitteln weltlicher Macht realisieren will. Die Grundform der christlichen Predigt ist deshalb missionarische Verkündigung, die Menschen zu Christus und seinem Heil einlädt und innerlich überzeugen will. Der Grundsatz Jesu: „Gebet Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist.“ gilt für das gesamte Leben und Wirken seiner Gemeinde, auch wenn die Kirche im Laufe ihrer Geschichte oft gegen die prinzipielle Unterscheidung von Kirche und Staat verstoßen und dabei auch schwere Schuld auf sich geladen hat. Wird also von Christen oder christlichen Kirchen im genannten Sinne Gewalt ausgeübt, so ist dies in jedem Fall Missbrauch der christlichen Religion und gegen das ausdrückliche Gebot ihres Herrn. Dies kann aber im Blick auf den Islam – wie oben gezeigt – so nicht gesagt werden.

Gerade angesichts des unvorstellbaren Leids in New York und Washington ist ein lebendiges Fragen nach den geistigen Grundlagen der verschiedenen Weltreligionen – vor allem aber des Islams und des Christentums – aufgebrochen. Diese Offenheit sollten besonders auch evangelikale Christen zum offenen und kompetenten Gespräch nutzen, um ihren Glauben zu bezeugen.

In der aktuellen Situation sollten sich deshalb Christen angesichts der schrecklichen Terrorangriffe islamistischer Fanatiker sachlich über die Grundlagen des authentischen Islam informieren. Nicht zuletzt auch darüber, was der Koran über die Offenbarung, über Gott und seine Propheten und speziell über Jesus von Nazareth sagt. Durch eine gründliche Kenntnis des Islam kann man die genuinen Lehren dieser Religion von der missbräuchlichen Ideologie des politischen Islamismus unterscheiden. Man wird so auch zum verstehenden Dialog befähigt, der die Voraussetzung für die Verkündigung des Evangeliums unter Muslimen ist.

6. „Erhebet eure Häupter!“ – christliche Hoffnung in einer Welt des Schreckens

Betrachten wir als Christen die Ereignisse des 11. September im Horizont der biblischen Heilsgeschichte, so enthüllt sich in ihnen ein grundlegendes apokalyptisches Geschehen, das Jesus in seinen Endzeitreden so gekennzeichnet hat: „Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich empören ein Volk gegen das andere und ein Königreich gegen das andere, und werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Da wird sich allererst die Not anheben. Alsdann werden sie euch überantworten in Trübsal und werden euch töten. Und ihr müsst gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern.“ (Mt 24,6-9)

Die Angst vor einem neuen Krieg lähmt nun die Menschen. Die finsteren Schatten des Terrors provozieren unbedachte Rache. Doch Angst und Hass sind keine christlichen Antworten. Jesus macht vielmehr gerade in seinen kompromisslosen Endzeitreden deutlich, dass er seine Gemeinde bei seiner Wiederkunft in wacher Verantwortung finden will. Deshalb ist gerade jetzt an Luthers Zuversicht zu erinnern: „Wenn morgen der Jüngste Tag käme, würde ich heute ein Apfelbäumchen pflanzen.“

Nicht Panik ist nach Jesu Weisung für Christen angesagt, sondern Hoffnung: „Wenn dies anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht“ (Lk 21,28).

Jesus will bei seiner Wiederkunft seine Gemeinde in wachsamer Verantwortungsbereitschaft vorfinden. Was bedeutet dies angesichts der terroristischen Bedrohung unserer Welt?

Zunächst erschüttern die Ereignisse in New York und Washington, wie wir gesehen haben, das stolze Selbstbewusstsein des modernen säkularen Menschen. Aber wir sollten bei allem Fragen nach der Schuld anderer zuerst und vor allem bedenken, was Jesus angesichts von zeitgenössischen Terroranschlägen und Katastrophen in Lk 13, 1-5 sagt: „Es kamen aber zu der Zeit einige, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihrem Opfer vermischt hatte. Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle anderen Galiläer, weil sie das erlitten haben? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle Menschen, die in Jerusalem wohnen? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen.“ Es geht darum, dass wir uns selbst zur Umkehr rufen lassen, nur dann sind wir auch bevollmächtigt, anderen Buße zu predigen.

Des weiteren sind wir in dieser schweren und gefährdeten Zeit in besonderer Weise zum priesterlichen Dienst der Fürbitte aufgerufen. Die apostolische Ermahnung in 1. Tim 2, 1-4, die in Zeiten politischer Stabilität fast etwas antiquiert klang, gewinnt ganz neue und aktuelle Brisanz: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ Aus solchem verantwortlichen Gebet erwächst dann auch die Bereitschaft zu verantwortlichem Handeln und zu den nötigen konkreten Opfern, um zu helfen. Die angesprochene Solidarität mit der amerikanischen Regierung und dem amerikanischen Volk gewinnt so glaubwürdige Kontur. In dieses Zeugnis des Gebets und der Hilfe ist allerdings im Sinne der Forderung Jesu auch die Feindesliebe eingeschlossen. Jesus ist nicht gegen die islamistischen Terroristen, sondern für sie gestorben. Diese Dimension christlicher Nachfolge wird letztlich gerade in den islamischen Ländern nicht unbeachtet bleiben.

Schließlich finden wir angesichts der brutalen Gewalttaten und ihrer Opfer viele Menschen, die an Gott und der Welt irre werden und verzweifeln: „Wie kann ein liebender und allmächtiger Gott solche Verbrechen zulassen?“ wird in diesen Tagen oft gefragt. Am Ende des Hiobbuches schweigt der alttestamentliche Gottesknecht und betet an. Die Souveränität Gottes ist ihm offenbar. Er legt deshalb sich und sein Geschick demütig und vertrauend in Gottes Hand, obwohl er sein Schicksal und dessen tiefste Hintergründe nicht durchschaut.

Wir sollten als Evangelikale nicht den Freunden Hiobs gleichen und als törichte Mahner gegenüber den Leidenden auftreten, sondern im Geiste Christi mit ihnen ihre Last tragen. Denn unendlich weiter als Hiobs Horizont des Duldens ist unser Trost. Weil Gott seinen eigenen Sohn nicht geschont hat, sondern ihn für uns alle am Kreuz bluten und sterben ließ, bleibt uns nicht nur die stumme Unterwerfung unter Gottes Hand (arabisch Islam), sondern steht uns das kindliche Vertrauen und die Liebe zu Gott, dem Vater, offen. Weil Jesus auferstanden ist, dürfen wir mehr als Hiob erhoffen, dessen äußeres Geschick eine totale Wende nahm. Wir hingegen warten auf das ewige Leben, das alle irdischen Erwartungen unermesslich übersteigt.

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 7/2 (2001)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie

23.12.2001
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