Treffen der Neutestamentler-Fachgruppe
in Bad Blankenburg

Heinz-Werner Neudorfer

Im Vorfeld der diesjährigen AfeT-Studientagung fand am 4./5. September 1999 in Bad Blankenburg die Herbsttagung der „Facharbeitsgruppe Neues Testament“ (FAGNT) mit 11 Teilnehmern statt. Vier Referate standen auf dem Programm:

Dr. Helgo Lindner, Dautphetal, dessen wissenschaftliches Arbeitsgebiet besonders die Grenzbereiche von Neuem Testament und Judentum sind, referierte über „Antwort und Trost aus der Schrift für einen Angefochtenen – Beobachtungen zu Römer 9–11“. Lindner war Assistent und Schüler des verstorbenen Tübinger Neutestamentlers Otto Michel. Er ging von zwei Beobachtungen aus: Zunächst fragte er nach der Funktion der Eingangspassage Röm 9,1–5. Die Verse 1–3 identifizierte er gattungsgeschichtlich als „Klage“, eine Einsicht, die zwar in einigen Kommentaren schon auftaucht, die dann aber in der Regel für das Verständnis nicht fruchtbar gemacht wird. An verschiedenen Beispielen aus dem jüdischen Bereich (4. Esra 8–10; syr. Bar 38; Josephus, bel 1.9; 3.354; 4;5) zeigte Lindner, dass die Form der Klage nicht nur in prophetischer, sondern auch in ntl. Zeit zur Verfügung stand. Wichtig ist nun zweitens für ihn, dass Röm 9,4+5 den Versen 1–3 nicht entgegen stehen, sondern diese verstärken. Denn der Rückblick auf erlebtes Heil ist – wie Lindner zeigte – auch früher schon Element der Klage als literarischer Form. In Röm 9–11 spricht Paulus als Betroffener und Angefochtener, der in der Heiligen Schrift Trost sucht und findet. Das zeigt sich an dem Einsatz von Schriftzitaten, die tragende Funktion im Argumentationsgang haben. Besonders gilt das für Dtr 32,21 (LXX), das mit dem Stichwort „reizen“ in Röm 11,11.14 eine Rolle spielt und das die Brücke von Kap. 9 zu Kap. 10 und 11 schlägt.

Dr. Peter H. Davids, Innsbruck, trug Beobachtungen zum Verhältnis von Jakobus und Petrus bzw. der ihnen mindestens zugeschriebenen ntl. Briefe vor: „Jakobus und Petrus im Gespräch: Der schriftliche Beweis“, eine Arbeit, die er für eine Konsultation in USA erstellt hat. Dabei kamen interessante Einzelheiten zutage:

1. Der Jakobusbrief (Jk) und der 1. Petrusbrief (1Ptr) setzen beide für ihre Adressaten eine (wenn auch unterschiedliche) Verfolgungssituation voraus und greifen zur Stützung der Gemeinden auf dieselben Traditionen zurück (Jk 2,2–7; 1Ptr 1,6f.).

2. Beide Briefe weisen eine Nähe zu der Überlieferung auf, die dem Matthäusevangelium nahe stehen. Insgesamt überwiegen allerdings – wie Davids auch zeigte – die Unterschiede zwischen beiden Briefen.

3. Im Vergleich zwischen Jak und 2Ptr fällt auf, dass Jak in einen palästinischen, 2Ptr in einen hellenistischen Sprach- und Lebensraum gehört, wobei sich allerdings beide auf palästinische Überlieferungen gründen. Die Christologie des Jak ist weniger entwickelt. Die Gegner, die angesprochen werden, stehen im Jak ausserhalb, im 2Ptr innerhalb der Gemeinde. Beide Briefe setzen sich mit einem verdrehten Paulinismus auseinander. Im Spiegel der drei Briefe erkennen wir – so Davids – einen Petrus und einen Jakobus, die sich auseinander leben, die inzwischen in zwei unterschiedlichen Welten leben.

Dr. Heinz-Werner Neudorfer, Weil im Schönbuch, sprach anhand von 1Kor 11,1–16 über „Die Frau in der Gemeinde – gleichberechtigt?“ Er skizzierte die Situation, die den Hintergrund des 1Kor bildete, und zwar besonders im Blick auf die Unterschiede zwischen der jüdischen und der griechisch-hellenistischen Welt. Ein Problem sah er darin, dass es für Griechen und besonders Griechinnen nicht leicht war, sich beim Eintritt in die christliche Gemeinde zugleich bestimmten, im jüdischen Bereich selbstverständlichen Verhaltensvorgaben unterzuordnen. Und dazu gehörte mit Blick auf die Ehe eben auch die im Judentum erwartete „Unterordnung“ der Frau unter den Mann. Neudorfer erinnerte daran, dass hierarchische Ordnungen im Altertum weniger unter dem Aspekt der Repression und Demütigung gesehen wurde, als vielmehr unter dem der Einbindung, der Geborgenheit, des Schutzes. Er plädierte dafür, Parallelen und Unterschiede zwischen damals und heute herauszuarbeiten und zu verarbeiten.

Dr. Armin D. Baum, Gießen, brachte Überlegungen zu „Pseudepigraphie und literarische Fälschung“ zu Gehör, Vorarbeiten für einen Beitrag zum 2. Band des „Methodenbuchs“. Deutlich wurde, dass eine differenzierte Bearbeitung des Themas nötig ist. Es ist zu unterscheiden zwischen verschiedenen Arten von Pseudepigraphie (absichtliche/ unabsichtliche; mit/ ohne Täuschungsabsicht; literarische/ inhaltliche Fälschung). Die ethische Komponente lässt sich nach Baums Meinung nicht von einer rein historischen Darstellung trennen, weil die Wahrheitsfrage stets eine Rolle spielt und gespielt hat. Heute stehen wir vor der (teilweise auch ausgesprochenen) Frage, ob Pseudepigraphen, sofern es sie im NT gibt, aus dem Kanon zu tilgen sind. Die Antworten in der Forschung sind sehr unterschiedlich, und entsprechend schloss sich auch an Baums Referat (wie auch an die übrigen Vorträge) eine lebhafte Debatte an.

Auf der Tagung konnte neben den Referaten das soeben in der „Theologischen Verlagsgemeinschaft“ von Brockhaus- und Brunnenverlag erschienene, von Mitgliedern der FAGNT verfasste Methodenbuch „Das Studium des Neuen Testaments“ vorgestellt werden. Der Band ist zum Erlernen der exegetischen Methoden an Bibelschulen, Theologischen Seminaren und Fakultäten gedacht und setzt griechische Sprachkenntnisse voraus.

Die nächsten Arbeitstreffen finden am 13./14. März 2000 in Dietzhölztal-Ewersbach und am 21./22. September 2000 in Tübingen oder Reutlingen statt.

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen - ETM 5/2 (1999)
Herausgeber: AfeT - Arbeitskreis für evangelikale Theologie


23.12.1999
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