Aus englischsprachigen evangelikalen Zeitschriften

Als neuen Service für die Bezieher der ETM sind die Inhaltsverzeichnisse der Zeitschriften der Schwesterorganisationen des AfeT in England (Tyndale Fellowship) und USA (Evangelical Theological Society) sowie der Theologischen Kommission der Weltallianz gedacht. Das Kurzreferat zu einzelnen ausgewählten Beiträgen auch anderer Zeitschriften soll wie bisher weiter erfolgen.

Evangelical Review of Theology, hg. WEF Theological Commission: ERT 23/1 (1999): The Nature and Mission of the Church: Conversations between the World Evangelical Fellowship and the Roman Catholic Church (Tantur, Jerusalem, 12-19 October, 1997)

Journal of the Evangelical Theological Society: JETS 41/1 (1998)

Tyndale Bulletin: TynB 49/2 (1998):

Kurzreferat zu Moisés Silva: "`Can Two Walk Together Unless They Be Agreed?' Evangelical Theology and Biblical Scholarship"

A. D. Baum

Das Journal of the Evangelical Theological Society veröffentlichte vor kurzem (41 [1998] 3-16) die "presidential address", die ihr Präsident Moisés Silva, Professor für Neues Testament am Gordon-Conwell Theological Seminary, an die am 20. November 1997 in Santa Clara zu ihrer Jahrestagung versammelten Mitglieder der amerikanischen Evangelical Theological Society gerichtet hat. In seinem Vortrag mit dem Titel "`Can Two Walk Together Unless They Be Agreed?' Evangelical Theology and Biblical Scholarship" behandelt Silva Fragen, die ihn seit 25 Jahren beschäftigen. Dennoch konnte er sich nur mit Mühe dazu durchringen, vor seinen evangelikalen Kollegen zu diesem zentralen Thema zu sprechen, da selbstkritische Reflexionen zum Hauptanliegen einer Organisation wie der ETS die Gefahr mit sich bringen, mißverstanden oder gar als Aufweichung des eigenen konservativen Standpunkts interpretiert zu werden.

Silva beginnt seine Überlegungen zum Verhältnis zwischen Evangelikalismus und Bibelwissenschaft mit einem Rückblick auf das 1977 von James Barr unter dem Titel Fundamentalism veröffentlichte Buch, das bekanntlich auch ins Deutsche übersetzt worden ist. Silva, selbst intensiv mit Fragen der Semantik befaßt, empfindet für Barrs sprachwissenschaftliche Arbeit große Hochachtung. Die Fairness, mit der Barr trotz der großen Schärfe seines wissenschaftlichen Urteils in der Regel die Positionen anderer darstelle, vermisse man aber leider in seinem Buch über die `Fundamentalisten'. Bereits diese Bezeichnung konservativer Evangelikaler sei keineswegs neutral, sondern führe eine Reihe negativer Vorurteile im Schlepptau. Barrs Behauptung, wer die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift ablehne, werde von den `Fundamentalisten' nicht als echter Christ anerkannt, sei unbelegbar und gleiche einer Verleumdung. Ebenso ungerecht findet Silva Barrs Aussage, konserverative Evangelikale würden sich nicht die Mühe machen, das Denken nichtevangelikaler Theologen wirklich zu verstehen. Daher lautet sein Gesamturteil, daß es Barr weder gelungen ist, seinen nichtevangelikalen Lesern ein zutreffendes Bild der evangelikalen Bibelwissenschaft zu vermitteln, geschweige denn, evangelikale Theologen zur Selbstkritik anzuregen.

Diese aber hält Silva trotz aller Einwände gegen Barrs Darstellung für dringend geboten. In seiner Ansprache nennt er einige Bereiche, in der konservative Alt- und Neutestamentler ihre eigene Denk- und Arbeitsweise trotz mancher ungerechter Kritik aus dem liberalen Lager überprüfen müßten. Erstens hält Silva den Vorwurf für zutreffend, daß Evangelikale die Ergebnisse `kritischer' Kollegen gelegentlich mit dem Hinweis ablehnen, es handle sich nur um Wahrscheinlichkeitsurteile, von derartigen historischen Urteilen aber selbst gern Gebrauch machen, wenn sie ihre eigenen Überzeugungen stützen. Damit hängt ein zweites Problem zusammen, dass die Bezeichnung der `kritischen' Methoden und Ergebnisse betrifft, die auch konservative Evangelikale in ihre eigene Arbeit einbeziehen. Obwohl ihre Ergebnisse häufig mit denselben historischen oder exegetischen Werkzeugen und Methoden erarbeitet worden sind, die `kritische' Bibelwissenschaftler anwenden, scheuten sich Evangelikale nicht selten, dies sich selbst und ihren konservativen Lesern einzugestehen. Andererseits sei drittens bei manchen evangelikalen Exegeten die Tendenz zu beobachten, neue methodische Ansätze unkritisch zu übernehmen, ohne sich in ausreichendem Maße Rechenschaft über deren weltanschauliche Voraussetzungen und unausgesprochenen Vorentscheidungen abzulegen. Außerdem machten manche Evangelikale sich bei der Übernahme historischer Einzelergebnisse nicht immer die Mühe, nüchtern deren Verhältnis zur eigenen evangelikalen Grundhaltung zu analysieren. Viertens beklagt Silva, unter Vertretern einer Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift sei immer wieder die Tendenz zu beobachten, Hypothesen als verbindlich zu betrachten, die sich nicht notwendig aus dem eigenen Standpunkt ergeben (wie die Überzeugung, die altkirchliche Zuschreibung des ersten Evangeliums an den Apostel Matthäus sei zutreffend), oder Hypothesen als theologisch unzulässig zu qualifizieren, die dem eigene Schriftverständnis strenggenommen nicht widersprechen müssen (etwa die Zweiquellentheorie). Die Väter der ETS seien in diesen Fragen viel offener gewesen als manche ihrer Enkel. Fünftens kritisiert Silva, daß konservative Theologen nicht immer in der Lage sind, hermeneutische Probleme in ausreichender Offenheit und Ausführlichkeit zu diskutieren. Als Beispiel nennt er die Auseinandersetzung um den von Robert H. Gundry verfaßten Kommentar zum Matthäusevangelium Anfang der 80er Jahre. Auch den Studenten dürfe man die ernsthafte Auseinandersetzung mit grundsätzlichen hermeneutischen Anfragen nicht ersparen.

Selbstverständlich richtete sich diese "presidential address" ganz speziell an die amerikanische Evangelical Theological Society und nicht an die Mitglieder und Freunde des deutschen AfeT. Trotzdem enthält sie Aspekte, die auch für die in mancher Hinsicht ganz andere Lage der evangelikalen Theologie in Deutschland zutreffen dürften. Silva erinnert meines Erachtens zu Recht daran, wie wichtig es ist, ständig an der Ehe zwischen bibelwissenschaftlicher Sorgfalt und evangelikalem Bekenntnis zu arbeiten, damit es nicht zu einer schleichenden Entfremdung kommt, sondern die Beziehung und mit ihr beide Partner gestärkt werden.

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen - ETM 5/1 (1999)
Herausgeber: AfeT - Arbeitskreis für evangelikale Theologie


23.12.1999
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