Theologisches Seminar St. Chrischona (TSC)

Dr. Helmut Burkhardt

Das beginnende 19. Jahrhundert war eine Zeit einzigartigen Aufbruchs zur weltweiten christlichen Mission. Die Gründung der Basler Mission 1815 und ihres Missionsseminars durch Christian Friedrich Spittler (1782-1867), den langjährigen Sekretär der damals in Basel ansässigen Deutschen Christentumsgesellschaft, war eines der wichtigen Signale dieses Aufbruchs. Das Wachwerden des Missionsgedankens schärfte zugleich allerdings auch den Blick für die geistliche Notlage in der Heimat. Deshalb wurde es Spittlers Überzeugung: „Wenn wir dafür sorgen, daß die Heiden Christen werden, so dürfen wir nicht versäumen, auch darauf bedacht zu sein, daß die Christen keine Heiden werden“ (zit. nach C.H.Rappard, Die Pilgermission zu St.Chrischona, 2.Aufl. 1908, 26). Spittler dachte zunächst vor allem daran, reisende Handwerksgesellen, mit einer gewissen biblisch-theologischen Grundausbildung versehen, als Boten des Evangeliums in die deutschsprachigen Länder zu schicken.

Seine Verwirklichung fand der lang vorbereitete Plan 1840 in der Gründung der „Pilgermissionsanstalt“, des heutigen Theologischen Seminars St.Chrischona (TSC), St.-Chrischona Kircheso genannt nach der kleinen, auf frühmittelalterlichen Vorgängerinnen erbauten spätgotischen, nach der heiligen Christina benannten Kirche auf einem Berg oberhalb des Rheins bei Basel. Dies damals halb verfallene Kirchlein wurde zur Wohn- und Lehrstätte der ersten „Zöglinge“ und ihrer Lehrer. Heute ist es wieder nur Gotteshaus, um das herum sich im Laufe der Jahrzehnte eine ganze Siedlung gebildet hat.

Diese Gründung Spittlers ist heute im ganzen deutschsprachigen Bereich die älteste noch bestehende theologische Ausbildungsstätte außerhalb der Universität. Dabei ist bemerkenswert nicht nur, daß sie - verglichen mit anderen, die längst nur der Geschichte angehören - immer noch existiert, sondern vor allem auch, daß sie nach wie vor vom gleichen Geist geprägt ist, der ihren Gründer beseelte.

Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die von Spittler begonnene Arbeit allerdings in einem damals nicht zu ahnenden Ausmaße ausgeweitet. Zahlreiche Zweige sind dem Werk der Pilgermission zugewachsen: so die etwa 200 Gemeinden und Gemeinschaften in der Schweiz, in Deutschland, in Frankreich (Elsaß), Luxemburg und Südafrika. Zum Verband der Pilgermission gehören weiter ein Diakonissenmutterhaus (mit Altenpflegeheimen und Altenpflegeschule), die vor allem in Südamerika und Afrika arbeitende Chrischona-Mission, die Arbeitsgemeinschaft für das messianische Zeugnis an Israel, Seelsorgezentren und eine Reihe Ferienheime in der Schweiz und in Deutschland und, nicht zuletzt, einer der (auch für die Theologie!) wichtigsten evangelikalen Verlage, der Brunnen Verlag in Gießen und Basel, jeweils mit einer Kette von christlichen Buchhandlungen in beiden Ländern.

Nach wie vor ist aber die theologische Ausbildungsstätte, der Ursprung des Werks, auch dessen Herzstück.

Heute studieren am Theologischen Seminar, kurz TSC genannt, 116 junge Frauen und Männer. Tendenz steigend.

Die meisten kommen aus Deutschland und der Schweiz. Es sind aber immer wieder auch Studierende aus anderen Ländern dabei, z.B. aus deutschstämmigen mennonitischen Gemeinden in Paraguay oder den Chrischona-Stadtmissionen in Südafrika. Die kirchliche Herkunft der Studierenden ist traditionell bunt. Das Hauptkontingent stellen in Deutschland sicher landeskirchliche Gemeinschaften verschiedener Verbände Gnadaus. In der Schweiz sind es außer den hier freikirchlich arbeitenden Chrischona-Gemeinden vor allem die befreundeten Verbände der Freien ev. Gemeinden und der Freien Missions-Gemeinden.

Eintrittsvoraussetzungen sind seit jeher die vier berühmten „B“: Bekehrt, berufen, begabt, bewährt. Dabei muß, wer das Studium „auf Chrischona“ beginnen will, entweder eine abgeschlossene Berufsausbildung oder Abitur aufweisen, im letzteren Fall allerdings sich auch noch entweder im Militär- oder Zivildienst oder in mindestens einem Jahr praktischer Tätigkeit in Gemeinde oder Diakonie eine gewisse zusätzliche Lebenserfahrung angeeignet haben.

Von 1909 bis 1996 gab es neben dem vierjährigen Seminar für Männer noch eine zuletzt zweijährige Bibelschule für Frauen, mit einem möglichen zusätzlichen dritten Jahr im sog. Katechetischen Seminar. Die Ermöglichung einer solchen Ausbildung für Frauen war seinerzeit eine ausgesprochene Pioniertat. In den letzten Jahren allerdings haben die Bedürfnisse der Ausbildung für hauptamtliche Dienste einander so angenähert, daß jetzt im Rahmen einer großen Studienreform diese Trennung von Seminar und Bibelschule aufgegeben wurde.

Ziel dieser Reform, die vom seit 1991 amtierenden Direktor der Pilgermission, Karl Albietz, eingeleitet und von Pfr. Reinhard Frische, seit 1991 Leiter des Seminars, durchgeführt wird, ist eine Erhöhung der Praxiskompetenz der Absolventen angesichts veränderter Situation in den zukünftigen Arbeitsfeldern.

Kern der Reform sind zwei Neuerungen:

1. Die erste ist die Aufteilung in ein allgemeines Grundstudium in den ersten beiden Jahren (mit dem Schwergewicht auf den biblischen Sprachen Griechisch und Hebräisch, sowie der Bibelkunde) und in das daran anschließende theologische Hauptstudium. Dieses wiederum gliedert sich jetzt in vier Zweige: den (zahlenmäßig größten) Predigerzweig, den Missionszweig, den Religions- und gemeindepädagogischen und den Diakonischen Zweig. In diesem Hauptstudium werden einerseits die traditionellen theologischen Disziplinen Exegese, Kirchengeschichte, Systematik und Praktische Theologie (inklusive Humanwissenschaften wie Psychologie und Soziologie) weitergeführt, andererseits wird eine dem jeweiligen Zweig entsprechende spezialisierte Einführung in das zukünftige Praxisfeld gegeben (beim Predigerzweig z.B. vor allem in den Bereichen Seelsorge und Leiterschaft).

2. Die zweite Neuerung ist die Einführung eines von einigen Kurswochen begleiteten Praxisstudienjahrs nach dem 3. Studienjahr. Dadurch wird die Regelausbildung auf insgesamt 5 Jahre erhöht. Im religions- und gemeindepädagogischen und im diakonischen Zweig ist ein Abschluß der Ausbildung allerdings auch schon nach dem 3. Studienjahr möglich. Hier wird dann zwischen 2. und 3. Jahr ein 10-wöchiges Praktikum eingeschaltet.

Insgesamt kann man sagen: Der Praxisbezug der Ausbildung, traditionell schon ein Vorzug der seminaristischen Ausbildung gegenüber einer rein akademischen (regelmäßige Predigtdienste, Mitarbeit in Jugendgruppen, evangelistische Einsätze), wird durch die Studienreform noch wesentlich verstärkt.

Die früher neben dem Studium z.T. ziemlich ausgedehnte Mitarbeit auch in der chrischonaeigenen Landwirtschaft, Gärtnerei und verschiedenen Werkstätten wurde mit der Zeit zugunsten des Studiums stark reduziert. Nicht reduziert aber wurde die Einbindung des Studiums in ein intensives, gemeinsames geistliches Leben in Gottesdiensten, Andachten, verschiedenen größeren und kleineren Gebetszusammenkünften, nicht zuletzt aber auch in den jetzt neu eingeführten Lebensgruppen, in denen 8-10 Studierende jeweils mit einem Dozenten bzw. Dozentenehepaar verbunden sind und sich zum regelmäßigen Austausch treffen.

Blick ins Seminar

Gegenwärtig unterrichten am TSC 10 hauptamtliche Dozenten, dazu 8 Teilzeit- und mehrere Gastdozenten. Zum Dozentenkollegium gehörten in der Vergangenheit z.T. im Pietismus weit bekannte und geachtete Lehrer wie z.B. der langjährige Leiter der Pilgermission C.H.Rappard (1837-1909), der spätere Direktor des Johanneums in Wuppertal und Autor der bis heute vielgelesen und immer noch nachgedruckten „Biblischen Glaubenslehre“ Theodor Haarbeck (1846-1923), als Gastlehrer zu seiner Basler Zeit Prof. Adolf Köberle (1898-1990), der vor allem durch sein Bibellexikon bekannte Fritz Rienecker (1897-1965), der ebenfalls als theologischer Schriftsteller bis heute weitbekannte Erich Schick (1897-1966) und, nicht zuletzt, der spätere Professor am Regent College in Vancouver, Klaus Bockmühl (1931-1989). Zu den bekanntesten Absolventen des Seminars gehörten der Gründer der Zeltmission Jakob Vetter (1872-1918), der langjährige Leiter der Holstenwall-Gemeinde in Hamburg Friedrich Heitmüller (1888-1965) und der Evangelist Gerhard Bergmann (1914-1981).

Das Niveau des Unterrichts, der wechselnd im Vorlesungs- und Seminarstil gehalten wird, entspricht etwa dem einer Fachhochschule. Es ist das Ziel, die Studierenden vermehrt zu eigenständiger theologischer Arbeit und Urteilsbildung anzuleiten. Den Dozenten selbst geht es in ihrer Arbeit nicht um bloße Weitergabe von anderswo Vorgedachtem, sondern um eigenständige Verantwortung und Vermittlung der christlichen Wahrheit in der erwecklich-biblizistischen Tradition unserer geistlichen Väter. Deshalb ist uns die ganze Bibel als Wort Gottes selbstverständliche Quelle und Norm alles theologischen Denkens und Arbeitens. Wir sind davon überzeugt, daß ein solcher bibelgebundener Weg in einer Zeit dramatischen Verfalls glaubwürdiger Orientierung in Theologie und Kirche immer mehr an Bedeutung gewinnen wird.

Die Absolventen des Predigerzweigs werden in der Regel Prediger in Landeskirchlichen Gemeinschaften oder Pastoren in freikirchlichen Gemeinden. Die des Missionszweigs lassen sich von den verschiedensten Missionsgesellschaften in den Dienst in Übersee aussenden. Die Absolventen -meist sind es Absolventinnen- des Religions- und gemeindepädagogischen Zweigs finden ihre Aufgabe als Jugendreferentin oder Gemeindediakonin vor allem im kirchlichen Bereich. Weniger Erfahrungen liegen bisher im ganz neu eingerichteten diakonischen Zweig vor. Hier bietet sich die Möglichkeit des Einsatzes in bestehenden diakonischen Einrichtungen oder Initiativen (z.B. auch in der Arbeit unter gesellschaftlichen Randgruppen). Oft ist hier allerdings eine Zweitqualifikation durch eine staatlich anerkannte sozialdiakonische o.ä. Ausbildung erforderlich. In Zusammenarbeit mit Gemeinden ist aber auch die Entwicklung gemeindenaher Diakonie eine wichtige Zukunftsperspektive. Christliche Gemeinde sollte im gleichen Maße diakonische wie missinarische Gemeinde sein!

Seit vielen Jahren führt das Seminar zu Anfang jeden Jahres für ehrenamtliche Mitarbeiter in der Gemeinde eine 9-wöchige Kurz-Bibel-Schule durch, mit drei Kursen zu je drei Wochen. Da immer wieder die Frage nach möglicher Vertiefung und Ausweitung solcher Mitarbeiterschulung gestellt wurde, wird ab Herbst 1998 erstmals zusätzlich ein Biblischer Jahreskurs angeboten.

Kontakt:
TSC-Sekretariat
Chrischonarain 200
CH-4126 Bettingen
Tel.: 004161 / 6464426
Fax: 004161 / 6464757
Internet: http://www.chrischona.ch

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen - ETM 5/1 (1999)
Herausgeber: AfeT - Arbeitskreis für evangelikale Theologie


23.12.1999
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