Predigt und Typologie, Datierungsfragen und kanonische Theologie

Seminar der FAGAT in Hattingen

Julius Steinberg

Eine entspannte und zugleich anregende Atmosphäre herrschte auf dem diesjährigen Treffen der „Facharbeitsgruppe Altes Testament“ (FAGAT), die vom 27. bis 29. Februar im Haus Friede in Hattingen tagte. Auf dem Programm standen vier Referate:

Christliche Verkündigung alttestamentlicher Texte

Der erste Vortrag mit dem Thema „Zur christlichen Verkündigung alttestamentlicher Texte“ von Pfr. Hartmut Schmid (Albrecht-Bengel-Haus, Tübingen) war bewusst sehr praktisch ausgerichtet, um der Theorielastigkeit einschlägiger Ansätze entgegenzutreten. Nach einigen einleitenden Überlegungen stellte er vor allem die folgenden Thesen vor: Die Predigt muss vom Text her kommen und gleichzeitig aber über das sprechen, was den Hörer betrifft. Hier gilt es, angemessene Analogien für die Anwendung zu finden. Dafür ist es notwendig, den Einzeltext in das Ganze der Schrift einzuordnen. In der Predigt sollte dies in wohl portionierten und homiletisch geschickt platzierten Erklärungen Niederschlag finden; das Gesamtverhältnis zwischen Erklärung und Anwendung muss dabei gewahrt bleiben. Außerdem darf die Predigt nicht zu einem heilsgeschichtlichen Gesamtabriss verkommen; im Gegenteil sollte die charakteristische Eigenart des Textes im Vordergrund stehen.

M.Dreytza, St.Felber, H.Schmid, W.Hilbrands, F.Ninow (v.li.)
M.Dreytza, St.Felber, H.Schmid, W.Hilbrands, F.Ninow (v.li.)

Das Verhältnis des alttestamentlichen Textes zum NT wird durch die gängigen Modelle wie Verheißung/Erfüllung, Typologie, Heilsgeschichte, christologische Interpretation u. a. definiert, wobei je nach Text das eine oder andere Modell (oder mehrere) greift. Nimmt das NT einen alttestamentlichen Text direkt auf, kann dies eine weiterer Fingerzeig für die Anwendung sein. Allerdings muss eine neutestamentliche Zitation nicht zwingend als Richtungsvorgabe für den Predigtablauf dienen.

Biblische Typologie

Doz. Dr. Friedbert Ninow (Theologische Hochschule Friedensau) stellte mit seinem Referat „Überlegungen zu einer biblischen Typologie“ einen Teil seiner kürzlich abgeschlossenen Dissertation zum Thema vor. Von dem Ausgangspunkt, dass Gott bestimmte alttestamentliche Heilsrealien speziell dazu entworfen hat, als Vorschattungen auf eine zukünftige Erfüllung zu dienen, stellte er die Frage nach einem exegetischen Werkzeug, mit dem ein alttestamentlicher Typos als solcher identifiziert werden kann. Seine Antwort darauf sind die inneralttestamentlichen Anwendungen von Typologie, die er u.a. am Meerlied in Ex 15 beschrieb: Innerhalb des Liedes wird der bereits erfolgte Durchzug durch das Schilfmeer typologisch auf die anstehende Wanderung durch die heidnischen Nationen angewendet. Das tertium comparationis ist das Thema „Passage durch drohende Gefahren hindurch“. Von diesem und von anderen Texten leitet Ninow einige grundsätzliche Aspekte von Typologie ab: Die Typos-Antitypos-Beziehung steht auf der Grundlage einer historischen Struktur, die Heilshandeln Gottes beschreibt; zwischen Typos und Antitypos liegt eine Steigerung vor; die Erfüllung findet der Typos im Eschaton, d.h. in Christus oder in den Heilsrealitäten des Neuen Bundes. Die letztgenannten Konzepte können als hermeneutische Kontrollen wirken, wenn man alttestamentliche Personen, Ereignisse oder Institutionen nach ihrer typologischen Funktion untersucht. Für die Exodus-Typologie kann gesagt werden, dass den neutestamentlichen Schreibern etliche exegetische Hinweise zur Verfügung standen, die es ihnen ermöglichten, das Jesus-Ereignis als einen neuen Exodus zu deuten.

Dr. Manfred Dreytza (li.), Drs. Thomas Scheiber
Dr. Manfred Dreytza (li.), Drs. Thomas Scheiber"

Exilische Datierung von Deut 4?

Der Vortrag von Doz. Carsten Vang (Gemeindefakultät Aarhus, DK) befasste sich mit der Frage der exilischen Datierung von Deut 4. Für eine solche Datierung argumentiert im eine Mehrheit auf dem Hintergrund historisch-kritischer Forschung. Vang optierte dagegen für eine frühe Datierung. Zunächst zeigte er ausführlich die enge sprachliche und inhaltliche Verwandtschaft von Deut 4 zum Rest des Buches auf und widersprach damit der Einstufung von Deut 4 als einem spätem Zusatz. – Anschließend verglich er das Bild vom Exil in Deut 4 mit dem der exilischen Schriften einerseits und mit dem altvorderorientalischer Texte andererseits, und stellte dabei fest: Das in Deut 4 geschilderte Bild von Exil entspricht den im 2. Jtsd. allgemein bekannten Vorstellungen, die auch in außerbiblischen Texten der Zeit auftreten (z.B. im Gesetzbuch des Hammurabi, Sinuhe). Gegenüber den exilischen Texten ist Deut 4 auffallend allgemein gehalten; der terminus technicus für die Deportation (Wurzel GLH) tritt z.B. nicht auf. Die Zerstörung der Stadt und des Tempels wird in Deut 4 nicht erwähnt, obwohl sie später eine wichtige Rolle spielte; demgegenüber passt die in V. 26ff beschriebene fortwährende Steigerung der Leiden im Exil nicht zu den tatsächlichen historischen Gegebenheiten; ebenso das dort verwendete Wort „schnell“. Deut 4 kennt im Gegensatz zu den exilischen Propheten keine Umkehr, die das Strafgericht verhindern kann, sondern nur eine, die es beendet. – Der Monotheismus in Deut 4 wird im Allgemeinen als weiteres Indiz für eine Spätdatierung angeführt. Doch ist Monotheismus bereits seit Echnaton bekannt (14. Jhd.); darüber hinaus sind die Verbindung zum Monotheismus des Jesaja eher vage.

Beim gemeinsamen Mahl
Beim gemeinsamen Mahl

Kanonische Theologie des Alten Testaments

Das vierte Referat präsentierte Prof. Dr. Hendrik Koorevaar (Evangelisch-Theologische Fakulteit, Leuven) unter dem Titel „Ein strukturell-kanonischer Ansatz für eine Theologie des Alten Testaments: Ein Entwurf“. Auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Schwierigkeiten von theologischen Gesamtentwürfen, allen Aspekten des AT gleichermaßen gerecht zu werden, stellte er einen neuen Ansatz vor, der die literarische Struktur des Kanons zum Ausgangspunkt nimmt. Eine AT-Theologie wird dabei in folgenden Schritten erhoben: Zunächst wird die Botschaft eines jeden alttestamentlichen Buches festgestellt. Danach werden die Botschaften der Bücher in größere Gruppen zusammengefasst, die der Makrostruktur des Kanons entsprechen. Als Letztes sollen die Botschaften der Gruppen zu einer Gesamtaussage vereint werden.

Die Facharbeitsgruppe Altes Testament
Die Facharbeitsgruppe Altes Testament

Um diese Arbeit leisten zu können, muss die ursprüngliche Form des Kanons rekonstruiert werden. Koorevaar stützt sich für die Reihenfolge der Bücher auf den ältesten von jüdischer Seite autorisierten Beleg, nämlich eine Baraita aus dem babylonischen Talmud (Baba Bathra, 14b). Die Buchgruppen teilt er hingegen anders ein als diese Überlieferung: Er rechnet Gen bis Kön zu den sog. „Kohanim“ (die Priester) und hat daher bei den „Nebiim“ nur die echten Schriftpropheten. Die Hagiographen nennt er „Chachamim“ (die Weisen). Als strukturell markant und daher auch theologisch besonders relevant sieht Koorevaar den Anfang und das Ende eines Buches oder einer Buchgruppe an, die er daher auch zueinander in Beziehung setzt. Auch der strukturalen Mitte eines Blocks weist er eine besondere Bedeutung zu.

Dr. Christoph Rösel (li.), Drs. Walter Hilbrands
Dr. Christoph Rösel (li.), Drs. Walter Hilbrands

Der oben beschriebene Ansatz sollte um einen thematischen Ansatz („Topical Method“ nach Hasel) ergänzt werden. Die Berücksichtigung der kanonischen Gesamtstruktur ermöglicht es, erarbeitete Einzelergebnisse treffend in das Gesamtgebäude der AT-Theologie einzuordnen.

Eine weitere unserer Sitzungen haben wir darauf verwendet, ein Methodenbuch für das Studium des Alten Testaments vorzubereiten, entsprechend dem bereits erschienenen Methodenband zum Neuen Testament. Das nächste FAGAT–Seminar soll am 4.-6. März 2001 stattfinden.

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen - ETM 6/1 (2000)
Herausgeber: AfeT - Arbeitskreis für evangelikale Theologie

22.07.2000
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