Theologische Ausbildung im Bildungszentrum Elstal
Eine freikirchliche Alternative

Edwin Brandt

Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland mit seinen 87.000 Mitgliedern in 649 Gemeinden und 225 Teilgemeinden hat im Herbst 1997 sein neues Bildungszentrum in Elstal in der Nähe Berlins eröffnet. Dieses Bildungszentrum steht mit seinen neuen Schwerpunkten in einer langen Tradition. Seit 1880 gab es in Hamburg die Prediger- und Missionsschule, an der in einem vierjährigen Studiengang die Prediger der deutschen und mancher europäischer Baptistengemeinden ausgebildet wurden. Die Entwicklung von der Prediger- und Missionsschule über das Theologische Seminar bis hin zum Bildungszentrum Elstal charakterisiert eine Entwicklung, die bei allem Reflex auf die Zeitgeschichte dem entspricht, was sich aus unserer freikirchlichen Ekklesiologie ergibt. Zum Bildungszentrum gehören neben dem Theologischen Seminar das Jugendseminar, die Bibelschule und das Seminar für Gemeindearbeit mit dem Institut für Seelsorge und Psychologie. Die Zentrale der Europäischen Baptistischen Missionsgesellschaft befindet sich ebenfalls auf dem Campus – mit der Möglichkeit zu Inspiration und aktueller Information.

Verantwortung der Gemeinde für Schulung und Ausbildung

Für jede Ortsgemeinde gilt der biblische Grundsatz vom Priestertum aller Glaubenden. Sie erfährt sich als von Gott begabte Dienstgemeinschaft, die um ihrer Sendung willen mit einer Vielfalt geistlicher Gaben ausgestattet ist. Diese unterschiedlichen Gaben zu erkennen, zu fördern, zu schulen und so zu ordnen, dass sie der Auferbauung der Gemeinde und der Wahrnehmung ihrer Sendung dienen, bleibt Aufgabe der Gemeinde. Die biblischen Bilder von dem einen Leib und den vielen Gliedern weisen uns darauf hin, dass eine Dominanz bestimmter Gaben immer zur Vernachlässigung anderer Charismen und damit zu ungesunder Entwicklung führt. Gerade durch die geordneten Dienste (Eph. 4, 11f.) soll die Monozentrierung auf ein Amt und die damit lauernde Gefahr einer Vollmachtsdifferenz zwischen Amt und Gemeinde vermieden werden.

In den freikirchlichen Gemeinden hat die Mitarbeit ehrenamtlich tätiger Frauen und Männer seit jeher ein starkes Gewicht. Sie sind leitend in der Kinder- und Jugendarbeit sowie in Chor- und Seniorenarbeit tätig, sie übernehmen Verkündigungsdienste, leiten Abendmahlsgottesdienste und gehören als Älteste oder Diakone zum Leitungsgremium ihrer Gemeinde. Gerade die Gemeinden, die keinen vollzeitlich tätigen Pastor finanzieren können, gestalten so mit der Mitarbeiterschaft das Gemeindeleben nach innen und außen.

Blick auf das Bildungszenzrum Elstal
Blick auf das Bildungszenzrum Elstal

Gemeinsame Ausbildungskonzeption für Pastoren und Mitarbeiterschaft

Für die Förderung und Schulung der ehrenamtlich tätigen Frauen und Männer sind je nach Zielgruppe die Institute verantwortlich, die oben aufgeführt wurden und Teil des Bildungszentrums sind. Das Jugendseminar – 1949 in Hamburg gegründet – bietet spezielle Schulungsprogramme für Mitarbeiter im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit an. Zusammen mit der Geschäftsstelle des Gemeindejugendwerkes werden hier auch der „Soziale Friedensdienst“, das Zeit-für-Gott-Programm und andere Programme begleitet. Das Seminar für Gemeindearbeit mit dem Institut für Seelsorge und Psychologie bietet in zum Teil aufeinander aufbauenden Kompaktkursen Schulungen in den Bereichen Verkündigung, Gottesdienstgestaltung, Leitung, Beratung und Seelsorge an. Dazu gehören auch einzelne Angebote im Rahmen einer „Seniorenakademie“.

Schließlich ist die Bibelschule – von 1992 bis 1997 in Berlin-Wannsee – mit einem zehnmonatigen Kursprogramm integraler Bestandteil des Bildungszentrums. Unter dem Motto „Ganz leben lernen – mit Christus für Gemeinde und Welt“ geht es mit dem Konzept des gemeinsamen Lebens um eine Einführung in die Bibel, in Fragen des Glaubens und der Lebensgestaltung, der Kirchengeschichte und Konfessionskunde. Praxiserfahrungen auf missionarischem oder sozialdiakonischem Gebiet gehören ebenfalls zum Profil dieser Glaubens- und Lebensschule.

Das Dozentenkollegium des Theologischen Seminars und die Institutsleiter mit den verschiedenen Referenten/innen und einzelnen ständigen Gastdozenten verstehen sich als Gesamtkollegium, das bewusst den fachlichen Dialog wie den interdisziplinären Diskurs als Grundlage für die gemeinsame Arbeit versteht. Hier erwachsen Anregungen und Inspiration für die fachspezifische Arbeit im jeweiligen Ausbildungsinstitut. In diesem Kontext konzipieren wir gegenwärtig einen einjährigen Aufbaustudiengang für eine Diakonen/innen-Ausbildung, um dem in den Gemeinden längst bewährten Berufsbild der Gemeindediakone/innen seine theologische Verankerung zu geben.

Theologie und Glaube

Der christliche Glaube kann und soll denkend verantwortet werden. Wir empfangen ihn als kostbares Geschenk des Heiligen Geistes, aber weder Rausch noch Ekstase gehören zu seiner charakteristischen Signatur. Wir dürfen und sollen verstehen, was wir glauben. Darum ist es Aufgabe der Theologie, dem Geheimnis des Glaubens nachzudenken.

Zu diesem Prozess der denkenden Verantwortung des Glaubens gehört auch die wissenschaftliche Formung des Theologiestudiums. Mit der Akzeptanz des Standortes Universität bekennt die Theologie als Wissenschaft ihre Dialogbereitschaft über den eigenen Rahmen hinaus und stellt sich dem Diskurs mit den Denktraditionen, philosophischen Schulen und historischen Methoden, die unser Denken heute bestimmen.

Daneben gibt es auch andere Orte, an denen verantwortlich Theologie betrieben wird: z.B. das Kloster oder die Kombination von theologischen Lern- und Erkenntnisschritten im beruflichen Alltag oder die verbindliche Studien- und Lebensgemeinschaft in theologischen Seminaren. So unterschiedlich die Zugänge und Arbeitsformen auch sind, sie alle stellen sich der Aufgabe, das biblische Zeugnis von der Offenbarung Gottes und die Spuren seiner Geschichte in dieser Welt zu verstehen.

Je intensiver das geschieht, desto selbstverständlicher wird die Haltung der Anbetung und des Lobens des menschgewordenen dreieinigen Gottes die theologische Arbeit bestimmen.

Damit ist zugleich an die Lebensbedingung theologischer Existenz, an den „Gehorsam des Glaubens“ (Rö 1,5; 15,18) erinnert. Immer bleibt die Theologie bei ihrem Forschen und Nachdenken auf die Einbindung in die glaubende Gemeinde angewiesen. Erst von diesem Kontext her kann die Theologie dann auch den Weg der Gemeinde kritisch begleiten und am Wort Gottes selber messen. Die Existenz der freikirchlichen theologischen Seminare neben den staatlichen Fakultäten und freien theologischen Akademien weist auf diese Zuordnung von Theologie und Gemeinde nachhaltig hin.

Wie bewusst die freikirchlichen Gemeinden die Verantwortung für die theologische Ausbildung ihrer zukünftigen Pastorinnen und Pastoren übernehmen, zeigt sich auch an ihrer Bereitschaft zur Finanzierung ihrer Ausbildungsstätten. Dieses verbindliche Engagement unserer Gemeinden ist der Grund dafür, dass am Theologischen Seminar Elstal keine Studiengebühren erhoben werden.

Das Studium

„Die christliche Gemeinde beruft geeignete Männer und Frauen, deren besondere Begabung durch den Heiligen Geist und Berufung durch Gott sie erkennt, in spezielle Dienste und bildet sie dazu aus. Insbesondere ordnet sie die Dienste der Verkündigung, Unterweisung, Seelsorge, Diakonie und Leitung. Geistesgaben und Ämter dienen in gleicher Weise der Sammlung und Sendung der Gemeinde Jesu Christi.“ (Rechenschaft vom Glauben, Kassel 1997)

Vor der Mensa des Bildungszentrums
Vor der Mensa des Bildungszentrums

Damit ist der Weg beschrieben, auf dem Frauen und Männer zum Studium an das Theologische Seminar kommen. In der Gemeinde wird ihre Begabung und Berufung erkannt und bestätigt und im dem Studium vorausgehenden Gemeindepraktikum auf das künftige Berufsbild hin überprüft.

Nach erfolgreichem Abschluss des Studiums bereitet ein Ausschuss unseres Gemeindebundes die Vermittlung der Absolventen in den Gemeindedienst vor. Zu Beginn des Dienstes erfolgt die Ordination; zu den ersten drei Dienstjahren gehören besondere Fortbildungsangebote und die Begleitung durch eine/n Gemeindepastor/in.

Studienziel

Das Studienziel des Theologischen Seminars ist mit dem Bemühen um eine organische Verbindung von Wissen, Sein und Tun zu beschreiben.

Neben der wissenschaftlichen Dimension, die die kritische Reflexion und den interdisziplinären Dialog, das intensive Bemühen um Texte und Traditionen sowie ökumenisches Lernen einschließt, geht es um Praxisorientierung, um Anleitung zur Umsetzung des Gelernten in der persönlichen Nachfolge wie im Gemeindedienst.

Schließlich versuchen wir die Studierenden als Personen im Blick zu haben, sie in ihrer jeweiligen Lebens- und Glaubensphase zu begleiten, sie als geistliche Persönlichkeiten in Eigenverantwortung, Mündigkeit und personaler Kompetenz zu fördern. Das geschieht nicht nur in persönlichen Gesprächen, sondern auch in regelmäßigen Tutorien der Studiengruppen mit einem Dozenten sowie indirekt im Kontext der Studien- und Lebensgemeinschaft auf dem Campus.

Zum Curriculum

In Vorlesungen, Seminaren, Übungen und Projekten werden den Studierenden die klassischen theologischen Disziplinen Altes und Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Praktische Theologie sowie Missiologie und Diakonik eingeführt. Die beiden biblischen Sprachen Hebräisch und Griechisch sind vom ersten Semester an bis zum theologischen Examen im 9. Semester fest im Stundenplan verankert. Hinzu kommen Unterrichtsangebote im Bereich der Humanwissenschaften. Die Kurse der anderen Institute des Bildungszentrums stehen den Studierenden ebenfalls offen.

Nach erfolgreichem Abschluss des sechsten Semesters wird den Studierenden aufgrund unserer Kooperation mit der University of Wales der Bachelor of Theology verliehen. Gegenwärtig ist die Einführung des MTh-Programms der University of Wales in der Planung.

Zum Studium gehören ferner mindestens 15 Praktikumswochen, die sich in Gemeindepraktika und sozialdiakonische, missionarische oder Seelsorge-Praktika aufgliedern. Schwerpunkt im letzten Studienjahr bildet die Pastoraltheologie. In dieses Studienjahr werden Absolventen von staatlichen Fakultäten im Rahmen des Kandidatenjahres integriert.

Theologie und geistliches Leben

Die wissenschaftliche Formung des Theologiestudiums ist ohne die verantwortliche Gestaltung der praxis pietatis nicht zu denken. Die Scheu und Zurückhaltung, die in dieser Hinsicht vielfach zu beobachten ist, ist gewiss in manchen Irrwegen der Theologiegeschichte sowie in fatalen Fehlentwicklungen innerhalb der Frömmigkeitsgeschichte begründet. Doch sollten die Schatten der Vergangenheit nicht zur Blockade werden und als Legitimierung eines Defizits herangezogen werden, aufgrund dessen dem Theologiestudium Wesentliches verloren ginge.

Angeregt durch den reichen Schatz geistlicher Erfahrungen und Ausprägungen von Glaubensvollzügen in den christlichen Kirchen weltweit wird heute von Studierenden wie von Dozenten die Anleitung und Ermutigung zur verantwortlichen Gestaltung des geistlichen Lebens als unverzichtbarer Bestandteil der Theologenausbildung gefordert und nach Möglichkeiten einer organischen Zuordnung von Theologie und Spiritualität gesucht. Wir sehen, dass den theologischen Lehrern dabei eine besondere Bedeutung zukommt. Deswegen lassen wir uns als Dozenten bewusst für die Anleitung und Ermutigung zum geistlichen Leben in Pflicht nehmen, indem im Rahmen von Vorlesungen und Seminaren auch die Wirkungsgeschichte biblischer Texte für das gottesdienstliche und persönliche Leben, für Bekenntnisbildung, Meditation und christliche Gemeinschaftsformen zur Sprache gebracht wird.

Außerdem regen gemeinsame Gottesdienste, Andachten im großen wie im kleinen vertrauten Kreis, Einkehrtage, Mitgliedschaft und Mitarbeit in den umliegenden Ortsgemeinden und die persönliche Begleitung der Studierenden immer wieder zu einer glaubwürdig gelebten und kommunizierten Spiritualität an.

Gemeinsame Ausbildungskonzeption „Elstal“
Gemeinsame Ausbildungskonzeption „Elstal“

Theologie und Mission

Die Sendung der christlichen Gemeinde in die Welt steht uns als verpflichtender Rahmen für die gesamte theologische Arbeit vor Augen. Wir bilden Frauen und Männer aus, die an der weltweiten missio Dei Anteil haben und sich dazu auch gesandt wissen. Der theologische Missionar, die theologische Missionarin sind neben dem Gemeindepastor, der Gemeindepastorin das Berufsbild unserer Ausbildung.

Wichtig sind für uns deswegen auch die Studierenden, die von baptistischen Unionen Osteuropas, der baltischen Ländern, Afrikas oder Südamerikas zum Vollstudium bzw. zu Post-graduate-studies empfohlen werden und unsere Studiengemeinschaft in Elstal bereichern.

Studierende anderer freikirchlicher Denominationen oder Kirchen können gern zu Gaststudien oder persönlichen theologischen Forschungen am Theologischen Seminar Elstal aufgenommen werden und die Möglichkeit der Bibliothek, des Oncken-Archivs sowie der Studiengemeinschaft insgesamt nutzen.

Studierende unserer Gemeinden, die ihre theologische Ausbildung an staatlichen Fakultäten, Theologischen Akademien oder Bibelschulen abgeschlossen haben und den pastoralen Dienst in unserem Gemeindebund bzw. in der Außenmission anstreben, können zu einem Kandidatenjahr oder mehrjährigen Zusatzstudium aufgenommen werden.

Bewerbungen sind auch in diesem Fall an das Theologische Seminar zu richten; über die Aufnahme entscheidet die Bundesleitung.

Edwin Brandt
Rektor des Bildungszentrums Elstal

Theologisches Seminar Elstal
J.-G.-Oncken-Str. 7
14627 Elstal

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen - ETM 6/1 (2000)
Herausgeber: AfeT - Arbeitskreis für evangelikale Theologie

22.07.2000
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