Theologische Ausbildung in besonderer missionarischer Situation – Das Gnadauer Theologische Seminar Falkenberg (GTSF)

Klaus vom Orde

Herausforderung in besonderer Situation

Das Gnadauer Theologische Seminar Falkenberg ist die einzige der Ausbildungsstätten im Gnadauer Verband, die in den neuen Bundesländern liegt. Haupthaus des GTSFDamit ist sein besonderes Merkmal zum Ausdruck gebracht. Vor 50 Jahren wurde es unter dem Namen „Gnadauer Bibelschule“ gegründet, um haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter im Verkündigungsdienst für die landeskirchlichen Gemeinschaften in der damaligen DDR auszubilden. Dies war notwendig geworden, weil die Predigerseminare, die zum Gnadauer Verband gehörten, damals alle im Westen lokalisiert waren. Anders als diese, die eigenständige Mitglieder des Gnadauer Verbandes waren, wurde die Ausbildungsarbeit im Gnadauer Gemeinschaftswerk Ost durch den ganzen Verband verantwortet. Nach einigen zaghaften Vorversuchen wurden im Jahr 1955 erste Kurse unter der Regie des Gnadauer Verbandes durchgeführt. Sie dauerten nur wenige Wochen und wurden in verschiedenen Freizeitheimen der Gemeinschaftsbewegung veranstaltet. Erst vier Jahre später, im Januar 1959 erhielt die „Gnadauer Bibelshule Falkenberg“ ihre Heimat in Falkenberg/Mark, nordöstlich von Berlin im Oderbruch gelegen.

Das Ausbildungskonzept wurde im Laufe der Jahrzehnte an die Notwendigkeiten der Verkündigungsarbeit angepasst, so dass die Kurzkurse, die – zusammen mit begleiteten Praktika – modular zu einer Gesamtausbildung zusammengesetzt wurden, sich bis zum Ende der DDR zu einer fünfjährigen Ausbildung ausgestalteten. Auf die dreijährige theoretische Ausbildung in Falkenberg mit dem Abschluss eines ersten Examens folgten zwei Jahre begleiteten Praktikums, die mit einem mehrwöchigen Oberseminar und dem zweiten Examen endeten.

Perspektiven in veränderter Situation

Als mit der Wende im Herbst 1989 die DDR zu Ende ging, mussten sich die Verantwortlichen fragen, ob für eine Einrichtung, die eigens im Gefolge der politischen Umstände in Deutschland entstanden war, ein natürliches Ende gekommen sein musste. Immerhin gehörten und gehören neun weitere Ausbildungsstätten mit teilweise langer Tradition als Mitglieder in den Gnadauer Verband. Die in dieser Zeit Verantwortlichen entschieden sich dafür, die Ausbildungsarbeit in Falkenberg fortzusetzen. Als äußere Zeichen dieses Neuaufbruchs haben zwei Entscheidungen zu gelten:

Zum einen wurde ein Trägerverein gegründet, der die „Gnadauer Bibelschule Falkenberg“ zu einem selbständigen Werk innerhalb des Gnadauer Verbandes machte, denn es war – angesichts der anderen Ausbildungsstätten und der anderen Struktur des gesamtdeutschen Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbands – nicht länger möglich, eine Ausbildungsstätte – gewissermaßen als „Unterabteilung“ – des Gesamtverbandes zu haben.

Zum anderen wurde ein Campus mit vier Häusern, unweit von Falkenberg gelegen, gekauft, um auch die äußerlichen Ausbildungsgegebenheiten zu verbessern.

Diese Aufbruchzeichen waren für viele Freunde in den neuen Bundesländern, zunehmend aber auch in den alten, wichtig. Die Arbeit, die in vielen Jahren der DDR wahrgenommen und gestaltet wurde, wurde mit der Wende nicht einfach zum Abschluss gebracht. Die Verbundenheit untereinander, die in anderen Teilen Deutschlands und unterschiedlichen Werken des Gnadauer Verbandes eine tragende Bedeutung für einige Ausbildungsstätten ist, wird zwischen der Falkenberger Ausbildungsarbeit und den Gemeinschaftsverbänden in den neuen Bundesländern in besonderer Weise zum Ausdruck gebracht.

Inhaltliche Kennzeichen

Den Verantwortlichen nach der Wende war zudem noch ein wesentliches inhaltliches Kennzeichen von Bedeutung: In der DDR-Zeit war es nötig gewesen, soweit es irgend möglich war, mit der evangelischen Kirche in gutem partnerschaftlichen Verhältnis zusammen zu leben und zu arbeiten. Dies war nicht nur wegen der politischen Situation nötig, sondern auch geistlich-theologisch möglich, weil sich die Gemeinschaftsarbeit und mit ihr ihre theologische Ausbildungsstätte dezidiert auf die reformatorische Deutung der Heiligen Schrift und in der Tradition der pietistischen Bewegungen verstand. Ohne dies natürlich anderen Ausbildungsstätten abzusprechen, war man gewillt, in dieser Weise den eigenen geistlich-theologischen und kirchlichen Standort zu beschreiben. Diese Verortung gilt bis heute und wird im Curriculum konkretisiert.

Das ständige Nachdenken über die Bildungsaufgabe hat auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre noch ein wichtiges Element hinzufügen lassen. Die Gnadauer Gemeinschaftsarbeit hatte sich seit der Zeit ihrer Entstehung zur Aufgabe gestellt, in sehr vielgestaltiger Weise den evangelischen Kirchen in Deutschland bei ihrer Kernaufgabe zu helfen, das Evangelium möglichst flächendeckend den Menschen im Land zu verkündigen. Die gesellschaftlichen Umstände dafür haben sich seither deutlich verändert – insbesondere aber in dem Bereich Deutschlands, in dem fünfzig Jahre lang bewusst gegen den christlichen Glauben und die Kirche argumentiert und gehandelt wurde. Dadurch ist nicht nur eine starke Ausdünnung der kirchlichen Präsenz gegeben, sondern zudem eine missionarische Situation, die anders ist, als wenn Menschen sich im Laufe der Zeit vom christlichen Glauben entfremden. Die Situation der Kirchen und missionarischen Aktivitäten in der postsozialistischen Gesellschaft in den neuen Bundesländern erfordert andere Akzente in der Umsetzung missionarischen Handelns. Dies in der Ausbildung erkennbar zu machen, ist die Chance einer Ausbildungsstätte, die in diesem gesellschaftlichen Kontext beheimatet ist.

Vernetzungen im Ausbildungskonzept

Vor diesem Hintergrund der Geschichte ergibt sich eine vierfach dimensionierte Vernetzung, die der Ausbildungskonzeption des Gnadauer Theologischen Seminars Falkenberg zugrunde liegt.

  1. Als Werk, das sich in der pietistischen Tradition sieht, ist die erste Vernetzung zwangsläufig. Philipp Jakob Spener betont in der „Programmschrift des Pietismus“, den „Pia Desideria“, dass die „Theologia ein habitus practicus sei und alles zu der praxi des Glaubens und Lebens gerichtet werden muß“. Die Vernetzung von theologischer Ausbildung und Gestaltwerdung des Glaubens im persönlichen und gemeinschaftlichen Leben ist grundlegend für die Ausbildungsarbeit in Falkenberg. Dies geschieht auf verschiedene Weise. Die Dozierenden gestalten ihre Veranstaltungen so, dass diese Verknüpfung auf eine ihnen angemessene Art zum Ausdruck gebracht wird. Die Studierenden wohnen in dem zum Seminar gehörenden Internat. Hier besteht die Möglichkeit, christliches Leben und Gemeinschaft im Zusammenleben und bei den notwendigen Arbeiten im Hauswirtschaftsbereich einzuüben und konkret werden zu lassen, was man bekennt. Zu dem gemeinsamen Tagesablauf gehören die Morgenandachten, dazu Kleingruppen, in die die Studierenden organisiert sind, um miteinander in der Bibel zu lesen oder andere Dinge zu tun. Die überschaubare Zahl von Studierenden ermöglicht zudem eine vielfältige Begegnungsmöglichkeit mit den Dozenten, so dass das persönliche Gespräch eine große Chance für das Lernen und Prägen bietet.
  2. Inzwischen ist es in der theologischen Ausbildung selbstverständlicher als früher geworden, die Vernetzung der einzelnen Disziplinen für die Studierenden erkennbar zu machen. In einer theologischen Ausbildungsstätte, wie sie das Gnadauer Theologische Seminar ist, kommt üblicherweise die Einführung in verschiedene weitere Fachbereiche hinzu, die für die spätere Gemeindearbeit von Bedeutung sind. Dazu gehören Pädagogik, Psychologie, kommunikationswissenschaftliche Kenntnisse, soziologische und philosophische Einsichten usw. Dadurch dass das gesamte Ausbildungsprogramm in einem Modulplan abgebildet ist, werden die Vernetzungen der einzelnen Fachbereiche und deren Inhalte für die jeweiligen Kollegen – und in Folge dessen für die Studierenden deutlich.
  3. Die dritte Dimension der Vernetzung ergibt sich schließlich dadurch, dass einzelne Unterrichtselemente – schon während der Studienzeit – zur Erprobung in der Gemeinde geführt werden. Das geschieht in Form von Andachten, die im Haus und außerhalb zu halten sind, durch Gottesdienste und Kinderveranstaltungen, die vorzubereiten und durchzuführen sind, durch Probepredigten, die unter Begleitung des Praxisdozenten immer in der konkreten Situation einer Gemeinde zu halten sind. Die gesamte Studienzeit wird zudem von verschiedenen Praktika durchzogen.
  4. Dadurch ergibt sich schließlich die vierte Vernetzung: die Verknüpfung zwischen Ausbildungsstätte und Gemeinde. Während der Ausbildungszeit erleben die Studierenden Gemeinden und Gemeinschaften in der weiteren Umgebung des Seminars und es wird ihnen zudem nahe gelegt, diese zu besuchen und sich – je nach den zeitlichen Möglichkeiten – dort zu engagieren.

Verbindungen mit anderen Ausbildungsstätten

Das Gnadauer Theologische Seminar ist Mitglied in der „Konferenz missionarischer Ausbildungsstätten“. Damit ist es positioniert als freies Werk, das seine Studierenden in aller Regel für die Verkündigungsaufgabe in freien Werken und in der evangelischen Kirche zur Verfügung stellt. Wie sich die Aufträge dann im Einzelnen bestimmen, liegt jeweils an dem Anstellungsträger.

In besonderer Weise hat sich die Zusammenarbeit mit der Kirchlichen Fachschule Malche, Bad Freienwalde, ausgestaltet. Beide Ausbildungsstätten, die nur wenige hundert Meter voneinander entfernt liegen, führen schon seit etlichen Jahren partiell einen gemeinsamen Unterricht durch. In den vergangenen Jahren wurde nun ein neues Curriculum erarbeitet, das zu einer Kooperation in der gesamten Ausbildung geführt hat.

Persönlich zugeschnittene Unterrichtsprofile

In Folge der Zusammenarbeit mit der Fachschule Malche wurde nicht nur eine Neugestaltung des Studienablaufs vorgenommen, sondern es wurde eine größere Auffächerung des Studienangebots möglich.

Die bisherige, vier Jahre dauernde, Ausbildung für Predigerinnen und Prediger, die in eine dreijährige Theoriephase, ein knapp zweisemestriges Praktikum und ein kurzes Oberseminar aufgegliedert war, ist neu aufgeteilt:

Ein dreisemestriges Grundstudium führt in Form von Grundkursen und Überblicksvorlesungen in die Theologie ein. Diese Studienphase ist in sich abgerundet und kann auch von solchen belegt werden, die weiterhin ehrenamtlich, aber mit einer theologischen Grundqualifikation in der Gemeinde mitarbeiten wollen.

Es folgt ein Praktikumssemester, das – zusammen mit den Leistungen im Grundstudium – für Studierende und Dozenten die Basis für eine Empfehlung bilden, ob ein weiteres Studium, das zu einer gemeindlichen Anstellung führt, weiterhin angestrebt werden soll.

Erst nach einem Auswertungskolloquium dieser beiden Studienphasen können zwei Aufbauphasen belegt werden. Im fünften und sechsten Semester werden die theologischen Kenntnisse exemplarisch vertieft. Neben den biblisch-theologischen Fächern wird vor allem in gemeindepädagogische Handlungsfelder eingeführt. Den Abschluss bildet ein Examen für Gemeindepädagogik (auf Fachschulebene), das gleichzeitig als Zwischenexamen für die Studienfortsetzung gilt.

Das vierte Studienjahr vertieft schließlich neben den exegetischen und systematischen Kernkompetenzen die Fähigkeiten in den pastoralen Feldern.

Das ganze Studienprogramm ermöglicht also je nach Zielsetzung und Begabung eine unterschiedliche Studiendauer von einem bzw. eineinhalb Jahren, über eine zweijährige und dreijährige bis zu einer vierjährigen Ausbildung. Dabei können im Verlauf des Studiums die Ziele durch den einzelnen Studierenden aktualisiert werden. Für die kürzeren Studienoptionen können anstelle des Griechischkurses andere Qualifikationen (z. B. kirchenmusikalische Nachweise) erworben werden. Wer sich allerdings vorbehalten will, die gesamte vierjährige theologische Ausbildung zu absolvieren, braucht die notwendigen sprachlichen Voraussetzungen für die biblische Exegese.

Und das Besondere des GTSF?

Neben der besonderen missionarischen Herausforderung, die die exponierte Lage in Deutschland ergibt (s. o.) ist auf die „kirchenpolitische Verortung“ des Gnadauer Theologischen Seminars Falkenberg hinzuweisen. Als einzige Ausbildungsstätte der Gemeinschaftsbewegung trägt dieses Seminar den Begriff „Gnadau“ im Namen. Dies hatte zunächst seine Gründe in den Entstehungsverhältnissen. Auch mit der Umbenennung von „Gnadauer Bibelschule“ in „Gnadauer Theologisches Seminar“ im Jahr 2000 wurde er beibehalten, weil er auf drei Dinge hinweist:

  1. Die theologische Verortung in der Reformation, wie sie in der Tradition des Pietismus bekannt ist, bildet den Referenzrahmen des Lehrens am GTSF.
  2. Die Aufgabe, die sich die Gemeinschaftsbewegung in Gestalt des Gnadauer Verbandes gestellt hat, bildet eine Leitlinie für die Ausbildung am GTSF: als ein freies Werk in der evangelischen Kirche hilft es dieser, das Evangelium flächendeckend den Menschen zu verkündigen. Dies kann dadurch realisiert werden, dass die Absolventen des GTSF in freien Werken des Pietismus arbeiten oder ihre Kompetenz der evangelischen Kirche zur Verfügung stellen.
  3. Die Mitarbeiter der Gemeinschaftsbewegung sollen so ausgebildet werden, dass sie die Gemeinschaftsarbeit mitgestalten können, wie sie den Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts entspricht. Die Absolventen des GTSF sollen nicht nur in allen heutigen Formen von Gemeinschaftsarbeit arbeiten können, sondern mithelfen, diese auf der Grundlage der reformatorischen Theologie und im Rahmen der Aufgabenbestimmung der Gemeinschaftsbewegung den missionarischen Anforderungen der Zeit zu gestalten.

Weitere Informationen sind über die Homepage abzurufen: www.gtsf.de. Hier sind auch die Bewerbungsunterlagen zu erhalten. Die Postadresse lautet:

Gnadauer Theologisches Seminar Falkenberg
Uchtenhagen 3
16259 Falkenberg
Tel.: 03 34 58 / 64 56 - 00
Fax: 03 34 58 / 64 56 - 28
Mail: info@gtsf.de

 
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 11/1 (2005)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie
08.12.2005 – http://www.afet.de