Ein Theologe mit Profil. Zum Tod des Schweizer Theologen Felix Flückiger.

Helmut Burkhardt

Erst verspätetet erreichte uns die Nachricht. Pfarrer Dr. Felix Flückiger wurde in seinem Wohnort Affoltern i.E. am 12. Dezember des vergangen Jahres auf dem Weg zum Nachbarhaus von einem Auto erfasst und starb an den Folgen des Unfalls.

Ich selbst begegnete ihm erstmals 1966. Als blutjunger Theologe, nur ein Jahr nach meinem Ersten Theologischen Examen, hatte ich bei einem Theologiestudentenseminar der Pfarrer-Gebets-Bruderschaft im hessischen Rengshausen eine Einführung in die Methoden der historischen Bibelauslegung zu geben, während Dr. Flückiger als Hauptreferent über die Theologie Rudolf Bultmanns sprach. Seitdem riss die Verbindung nicht wieder ab. Als Klaus Bockmühl 1977 nach Kanada ging und für einen Teil seines Unterrichts ein Gastlehrer gesucht wurde, damit ich als sein Nachfolger auf Chrischona nicht gleich das ganze Pensum übernehmen musste, verwies ich auf ihn. Und so trafen wir uns nun auf Chrischona als Kollegen wieder. Bis 1988 unterrichtete er hier am Theologischen Seminar als Gastdozent in den Fächern Theologiegeschichte und Soziologie. Die Studierenden schätzten sein umfassendes Wissen und liebten den waschechten Berner Theologen in seiner ruhigen, väterlichen und doch immer engagierten Art.

Felix Flückiger, Jahrgang 1917, hatte einst bei dem Basler Theologen Karl Barth studiert und galt geradezu als sein Lieblingsschüler. Bei ihm promovierte er und habilitierte sich ebenfalls in Basel. Er schien vor einer glänzenden akademischen Karriere zu stehen. Seine 1954 erschienene grosse Studie zur „Geschichte des Naturrechts“ gilt bis heute als grundlegendes Werk zum Thema. Aber dann kam es, vor allem im Zusammenhang mit Barths Rechtfertigung der Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 durch die Sowjetunion, zum Bruch zwischen ihnen. Flückiger gab seine Lehrtätigkeit als Privatdozent in Basel auf und widmete sich nun mit ganzer Kraft der Gemeindearbeit, zunächst im hochalpinen Guttannen an der Strasse zum Grimselpass, dann in Thun, in Reutigen und schliesslich, von Affoltern im Emmental aus, als Regionalpfarrer des Oberaargau. Dabei vernachlässigte er aber die wissenschaftliche Weiterarbeit keineswegs. Die kritische Auseinandersetzung mit der damals heiss umstrittenen Theologie der Entmythologisierung on Rudolf Bultmann schlug sich nieder in dem Buch „Existenz und Glaube“ (1966). Es folgte 1970 eine Untersuchung zum biblischen Geschichtsverständnis, „Theologie der Geschichte“. 1975 erschien in dem renommierten Standardwerk „Die Kirche in ihrer Geschichte“ sein Beitrag über „Die Protestantische Theologie des 19. Jahrhunderts“. Auch zu dem in den Jahren 1992 bis 1994 erschienenen „Evangelischen Lexikon für Theologie und Gemeinde“ steuerte er zahlreiche Artikel vor allem über Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts bei. Wiederholt wirkte Felix Flückiger auch als Referent auf Konferenzen des AfeT mit: 1981 in Krelingen sprach er über „Der Gottesgedanke in der Theologie Rudolf Bultmanns“, 1983 und 1985 jeweils in Tübingen über „Das Wesen biblischer Prophetie“ und „Das Verständnis der Geschichte in der dialektischen Theologie“.

Dass Felix Flückiger gegen Ende seiner Dienstzeit und darüber hinaus auf Chrischona noch einmal die Möglichkeit bekam, mitzuhelfen junge Menschen auf ihren Dienst als Verkündiger des Evangeliums vorzubereiten, war, wie er immer wieder dankbar bezeugte, ein Stück Lebenserfüllung.

Weniger bekannt dürfte sein, dass der Theologe Flückiger auch ein hervorragender Erzähler war. Das bezeugen zwei Bände mit Erzählungen, die in den 60er Jahren erschienen. Die kleine, hochdramatische Erzählung „Die Beichte“ etwa erinnert geradezu an die Erzählkunst eines Gotthelf oder auch Dürrenmatt. Es sind oft düstere, unheimliche Geschichten, in denen in zunächst scheinbar gutbürgerlichem Milieu sich plötzlich Abgründe menschlicher Bosheit auftun. Auf solchem Hintergrund aber scheint, so schreibt Flückiger im Vorwort des Bandes „Diener zweier Herren“, umso grösser die Gnade Gottes auf, „die sich des Sünders erbarmt und nicht des Gerechten“.

 
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 10/1 (2004)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie
12.09.2004 – http://www.afet.de