Ein Leben für die Evangelisation
Erinnerung an Heinrich Kemner

Jochen Eber
Herbert H. Klement

In diesem Jahr wäre er hundert Jahre alt geworden. Am 19.6.1903 wird Heinrich Kemner geboren. Bei seinem Tode am 13.6.1993 wird er als „einer der bekanntesten Pastoren in Deutschland“ bezeichnet, als einer der bedeutendsten, wenn nicht gar der bedeutendste Prediger und Seelsorger Norddeutschlands in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Dies ist nicht ganz unberechtigt, bedenkt man die bis heute lebendigen Früchte seiner Arbeit. Der von ihm begonnene pietistisch-erweckliche Ahldener Jugendtag wird als jährliche Jugendkonferenz mit Ausstrahlung in ganz Norddeutschland seit 1953 durchgeführt (ab 1973 in Krelingen). Eine 1946 in einer Scheune im Pfarrgarten begonnene Freizeit- und Konferenzarbeit wird heute im Geistlichen Rüstzentrum Krelingen mit einem vielseitigen Jahresprogramm weitergeführt. Zur 1952 gegründeten Ahldener Bruderschaft – einer seelsorgerlichen Gemeinschaft von Pfarrern und Laien zur gegenseitigen Ermutigung und Unterstützung – gehören heute etwa 140 Personen. Die seit 1960 von Kemner herausgegebene und bis 1993 redigierte Zeitschrift Erweckliche Stimme heißt heute „Krelinger Briefe – für erweckliches Christsein“. Sie ist aus der Zusammenarbeit mit Pfr. Otto Riecker in Adelshofen hervorgegangen. Hier hat Kemner 1955 evangelisiert und die „Erweckung“ vieler Menschen und Familien des Dorfes erlebt. Später entsteht hier das Lebenszentrum Adelshofen (siehe den nächsten Beitrag in diesem Heft). Seit 1966 ist Heinrich Kemner in der bundesweiten Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ engagiert, in Niedersachsen ist er deren Vorsitzender. Anfang der siebziger Jahre baut er in Krelingen einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Rehabilitationszentrum, Gärtnerei und mehreren Werkstätten auf. Parallel dazu wird im November 1972 in Krelingen eine Theologiestudentenarbeit unter Leitung von Pastor Sven Findeisen ins Leben gerufen, die in einem einjährigen theologischen Kurs mit Griechisch und Hebräisch auf das Universitätsstudium vorbereitet (vgl. ETM 6/2 (2000) 7–10). Der 1992 gegründete Gemeindehilfsbund dient als Sammelbecken für Gemeindeglieder, die über den Kurs der Landeskirchen verunsichert sind.

Heinrich Kemner (1903–1993)

Bereits mit jungen Jahren leitet Heinrich Kemner als ältestes von vier Geschwistern im 1. Weltkrieg den elterlichen Bauernhof in Dünne (Westfalen), während sein Vater eingezogen ist. Durch die Lektüre von P.C.A Rohrbach, A. Schopenhauer, Ch. Darwin und F. Nietzsche gerät sein bis dahin kindlicher Glaube in eine Krise. Der frühe Tod eines christlichen Freundes rüttelt ihn wach. Beim Lesen von Spurgeons Buch Ganz aus Gnaden findet er zum Glauben. Als seine Mutter todkrank wird, verspricht er Gott, Pfarrer zu werden, ohne das daraus zunächst etwas wird. In dieser Zeit entdeckt er Sören Kierkegaards Krankheit zum Tode. Die Verkündigung von Ernst Modersohn und Ludwig Henrichs beeindrucken ihn nachhaltig. Bis zum 20. Lebensjahr arbeitet er weiter auf dem elterlichen Bauernhof. Nach dem Besuch einer Landwirtschaftsschule in Soest wirkt er als Oberinspektor auf dem Rittergut Turow bei Grimmen in Vorpommern. Mit 26 Jahren bewirbt er sich für die theologische Ausbildung am Predigerseminar in St. Chrischona, macht dann aber auf Anraten der dortigen Leitung das Abitur nach, zunächst in Hannover, abschließend in Werms in Österreich (1931). Er beginnt mit dem Theologiestudium in Wien, setzt es in Münster (Wilhelm Stählin) und Bonn (Karl Barth) fort.

Nach dem Theologischen Examen kommt er auf das Predigerseminar Soest, wird dort aber wegen seines Widerstandes gegen die Bewegung der Deutschen Christen entlassen. So wird er 1934 Vikar der Westfälischen Bekenntnissynode und arbeitet in Witten (Johannes Busch). Nach weiteren Vikarstellen macht er vor der Bekennenden Kirche in Bethel sein zweites Theologisches Examen. Er sieht keine Möglichkeit in der Westfälischen Kirche zu arbeiten und wechselt nach einem Kolloquium in die teilweise „intakte“ Hannoversche Landeskirche. Nach einem weiteren Jahr Vikariat zur Vertretung des Superintendenten in Gifhorn wird er 1939 auf seine einzige Pfarrstelle nach Ahlden bei Walsrode berufen; hier wirkt er – nach neun Vikariatsstellen – 32 Jahre als Ortspfarrer bis zu seiner Pensionierung 1969. Typisch für ihn ist, dass er statt des Choralbuchs in den Gemeindegruppen das erweckliche Reichsliederbuch benutzt. Am 12.2.1939 heiratet er seine Frau Margarete („Gretel“), geborene Siemer, die wie er auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Die Ehe bleibt kinderlos.

Durch Kemners Arbeit kommt es in Ahlden zum Zusammenstoß mit der Gestapo. Nach einem fehlgeschlagenen SS-Attentat gegen ihn erreicht man, dass seine Unabkömmlichkeit für den Wehrdienst aufgehoben wird. Er wird eingezogen und tut bei einer Sanitätskompanie in Holland Dienst. Nach der amerikanischen Invasion wird er ins Elsass und schließlich bis Ende des Krieges in die Region Trenchin in der Westslowakei verlegt. Er entkommt der Kriegsgefangenschaft durch Flucht, ein langer Fußmarsch führt ihn zurück nach Ahlden. Im Kontakt mit Friedrich Gogarten entsteht nach Kriegsende eine Dissertation über Rechtfertigung und Heiligung bei Luther und Bezzel, die dann aber wegen grundsätzlicher theologischer Differenzen mit dem Hochschullehrer nicht eingereicht wird.

Heinrich und Margarete „Gretel“ Kemner

Neben den von ihm initiierten Werken gehören zu den lebendigen Spuren seines Lebens viele Menschen, denen er durch lebendige Verkündigung und erzählte Lebensgeschichten das Evangelium verdeutlicht. In zahllosen seelsorgerlichen Gesprächen und Beichten und einem umfangreichen Briefwechsel kümmert er sich um einzelne. Zu den evangelistischen Vortragsreisen in ganz Deutschland kommen Einladungen in die Schweiz, nach Finnland, Norwegen, Schweden, Kanada, USA und zweimal nach Afrika. Daneben verfasst er 48 Bücher, überwiegend evangelistische Erzählungen, mit einer Gesamtauflage von schätzungsweise 250.000 Exemplaren. Mehr als 420 Kassettenaufnahmen aus der Zeit nach 1974 zeugen von seiner Predigttätigkeit, in der die Grundkonstanten seiner Theologie durch häufige Bezugnahme auf Luther, Kierkegaard, Guardini, Buber und Bezzel auch noch in hohem Alter erkennbar sind.

 
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 9/2 (2003)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie
07.03.2004 – http://www.afet.de