Bathseba und Sprüche, Erstlinge und Liebesgebot

Das AfeT-Doktoranden- und Habilitandenkolloquium

Uwe Rechberger

Das AfeT-Doktoranden- und Habilitandenkolloquium wächst: zwanzig TeilnehmerInnen trafen sich am 14. und 15. März 2003 im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen. Höhepunkte der Tagung waren der gemeinsame Abend bei Prof. Riesner und seiner Familie sowie jeweils zwei Vorträge aus den Bereichen des Alten und Neuen Testaments.

Exegese und Interpretation

Am Freitag referierte zunächst Andreas Käser (Augsburg/Tübingen) zum Thema Historische Exegese und literarische Interpretation: Liest man biblische Erzähltexte unter einem literaturwissenschaftlichen Betrachtungswinkel, treten oft erstaunliche und erhellende Beobachtungen zu Tage: in der David-Batseba-Erzählung (2Sam 11f) etwa begegnet die Variation der Trias ‚essen‘ – ‚trinken‘ – ‚legen‘ in der Rede Urias, im Erzählbericht und in der Rede Natans, ein geschicktes „Spiel“ zur Pointierung der Davidkritik. In der Applikation literaturwissenschaftlicher Ansätze wird nicht selten aber auch deren jeweilige Konzeption von der Produktion, der Kommunikation und der Rezeption des Textes (reflektiert oder unreflektiert) mittransportiert und zum Teil gegen das Eigenprofil biblischer Erzähltexte gewendet, so etwa das Konzept des autonomen Kunstwerks im New Criticism oder die Identifizierung biblischer Erzähltexte mit fiktionaler Literatur aufgrund ihres Gehalts an Merkmalen von Poetizität.

Jakobusbrief und Jesusüberlieferung

Zum Thema Jakobusbrief und Jesusüberlieferung – Jak 2,8–13 im Vergleich mit Lk 10,25–37 referierte Achim Peter (Neuenmarkt): Beide Texte mahnen zu tätigem Erbarmen und konkretisieren die Forderung des Nächstenliebegebotes Lev 19,18 als barmherzige Zuwendung gegenüber dem Bedürftigen. Dem Fehlen des Begriffes entole im Jakobusbrief korrespondiert in Lk 10,25–37, dass eine den synoptischen Parallelen vergleichbare Qualifizierung des Nächstenliebegebotes als entole megale o. ä. unterbleibt. Eine Kenntnis von Lev 19,18 als Teil des doppelten Liebesgebotes ist angesichts der parallelen Wendung kalôs poiein in 2,9 und 2,19 (dort Bezug auf Dtn 6,4) möglich. Die dem Jakobusbrief und Lukasevangelium gemeinsame Hochschätzung der Armen und Schwachen ist nicht allein durch die ähnliche Situation der Adressaten bedingt, sondern in der aufgezeigten Konkretion primär theologisch begründet.

Achim Peter bei seinem Referat

Weisheit und Gesetz

Am Samstagmorgen folgte auf Frühstück und Andacht ein Vortrag von Tillmann Krüger (Cheltenham), der den Zusammenhang von atl. Weisheit und Gesetzestexten untersucht. Thema seines Vortrages war Der theologische Rahmen von Sprüche 1–9: Da die atl. Weisheit keine heilsgeschichtlichen Ereignisse aufgreift und darüber hinaus einen universalen Charakter hat, stellt sich die Frage der Einordnung in den Gesamtzusammenhang des AT. Dazu kritisierte Krüger eine These W. McKanes, der von einer ursprünglich säkularen Weisheit im alten Israel ausging, die dann später eine jahwistische Neuinterpretation erfuhr. Diese scheint eher einem evolutionären Schriftverständnis als einer genauen Exegese der Texte und ihres Umfeldes zu entspringen und ist von daher abzulehnen. Ebenso zu verneinen – zumindest für Sprüche 1–9 – ist seiner Meinung nach die These W. Zimmerlis, der eine Theologie der Schöpfung als Mitte der atl. Weisheit postuliert hat. Sprüche 3,19–20 und 8,22–31 betonen nämlich nicht die Schöpfung, sondern die Weisheit und ihren Wert für den Lernenden. Es erscheint deshalb sinnvoll, nach einem neuen Ansatz zur Eingliederung der Weisheit in die Theologie des AT und den Zusammenhang von Weisheit und Gesetz zu suchen. Vielversprechend ist das Konzept der Weltanschauung: da im alten Israel Alltagserfahrungen mit theologischen Aussagen verbunden und verwoben waren, erscheint es unwahrscheinlich, dass die „Weisen“ jemals eine andere Weltanschauung als die „Normalen“ Israeliten hatten. Das Konzept der Weltanschauung könnte demnach eine Brücke zwischen Gesetzestexten und der Weisheit bilden. Diese These bedarf natürlich einer weiteren Untermauerung, vor allem durch exegetische und soziologische Erkenntnisse.

Prof. Dr. Rainer Riesner (Mitte) im Pausengespräch

Die Erstlingsgabe bei Paulus

Abschließend referierte Joel White (Gießen) über Das Konzept der Erstlingsgabe bei Paulus. Er unterstrich die Bedeutung der Metapher für die Erschließung der paulinischen Eschatologie und stellte folgende These auf: Paulus hat im Konzept der Erstlingsgabe ein Bild gefunden, das sich besonders für die Beschreibung der eschatologischen Spannung des „schon jetzt / noch nicht“ anbietet. Die Metapher verbindet alt- und neutestamentliche Traditionen und Texte und erläutert unerwartete oder schwer zu erklärende Aspekte einer ausdrücklich christlichen Eschatologie im jüdisch-apokalyptischen Kontext. Nach einer Darstellung des alttestamentlichen Hintergrundes zum Konzept der Erstlingsgabe überprüft White seine These anhand zweier Paulustexte. 1Kor 15,20–24 bezeichnet Christus als die Erstlingsgabe von den Toten. Hier erklärt der metaphorische Gebrauch von „Erstlingsgabe“ sowohl die essentielle Kontinuität der Auferstehung Christi mit der Auferstehung aller Gläubigen als auch deren zeitliche Diskontinuität. Die Erstlingsgabe der Gerstengarbe, die laut 3Mose 23,10–11 am Sonntag nach Passah dargebracht wurde, steht in derselben Beziehung zur Ernte und könnte der Referent der Anspielung sein. In Röm 11,16 sieht White hinter der Anspielung auf die in 4Mose 15,20–21 beschriebene Erstlingsgabe des Teiges auch einen Bezug zu Jer 2,2–3, wo Israel als heilige Erstlingsgabe bezeichnet wird. Er schließt daraus, dass mit dem Bild der Erstlingsgabe und dem darauffolgenden Bild der Wurzel die bundestreuen Israeliten und Juden und nicht nur die Patriarchen gemeint sind. Auch hier signalisiert das Bild der Erstlingsgabe eine zeitliche Diskontinuität zwischen Anfang und Vollendung. Die vielfältige Anwendung der Erstlingsgabenmetapher zeigt die gelungene Integration der sog. Parusieverzögerung in die paulinische Eschatologie.

Torsten Uhlig u. Dr. Herbert Klement, Tillman Krueger u. Martin Abraham

Das nächste Doktoranden- und Habilitandenkolloquium findet am 5. und 6. März 2004 wieder in Tübingen statt. Herzliche Einladung an alle Interessentinnen und Interessenten.

 
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 9/1 (2003)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie
19.12.2007 – http://www.afet.de