Konfliktbewältigung, Macht und Leitung

Die Tagung der Facharbeitsgruppe Praktische Theologie

Hans-Georg Wünch

Mit dreizehn Teilnehmern war die diesjährige Tagung der Facharbeitsgruppe Praktische Theologie (FAGPT) vom 10. bis 11. März 2003 in Wölmersen verhältnismäßig gut besucht, die Themen „Konfliktbewältigung“ und „Macht und Leitung“ stießen offenbar auf ein hohes Interesse. Als Referenten waren dabei Manfred Eichtinger, früher Lehrer, heute Leiter eines Management-Beratungsdienstes, und Dr. Gerd Goldmann, Leiter des Missionshauses Wiedenest, der bis vor kurzem in führender Position beim Chemiekonzern Bayer tätig war. Manfred Eichtinger sprach zu dem Thema Streiten Christen anders, Dr. Goldmann zum Thema Der Spannungsbogen zwischen Machtausübung und zielgerichteter geistlicher Leitung. Außerdem hielt Wilhelm Faix ein einleitendes Kurzreferat zum Thema Vom Umgang mit Machtmenschen in der Gemeinde. Hier eine kurze Skizzierung der beiden Hauptreferate:

Streiten Christen anders?

Konflikte sind im menschlichen Miteinander nicht vermeidbar. Sie entstehen durch nicht erfüllte Erwartungen. Es ist zunächst festzuhalten, dass sie an sich weder gut noch schlecht sind. Sie sollten daher weder verdrängt noch ignoriert werden. Im Grunde können sie sogar nützlich sein, da sie eine Chance zur Veränderung darstellen.

Grundsätzlich kann man auf Konflikte reagieren, indem man den Kontakt zu dem Anderen abbricht, mit dem Konflikt lebt oder an dem Konflikt arbeitet. Für einen konstruktiven Umgang mit Konflikten ist es wichtig, dass man das Problem nicht in der Person des Anderen sieht, sondern versteht, dass die Probleme im Miteinander liegen. Also nicht: „Du bist das Problem“, sondern „Wir haben ein Problem“.

Für Christen gibt es spezifische Konfliktpotenziale, z. B.: ein idealisiertes Gemeindebild, die erwartete Vorbildfunktion, das Einstehen für die biblische Wahrheit, eine unangemessene Moralisierung allen Tuns, eine generelle Vergeistlichung von Konflikten u. a.

Schon die Bibel berichtet von Konflikten: Kain und Abel (Gen 4,1–8), Abraham und Lot (Gen 13,5–18), Saul und David (1Sam 16–31), Heiden- und Judenchristen (um die Bedeutung der Thora; Apg 15,1–31), Barnabas und Paulus (Apg 15,35–40), Parteiungen in Korinth (1Kor 3,1–7).

Ein Lösungsansatz für einen sinnvollen und hilfreichen Umgang mit Konflikten ist das sog. FRIEDE-Modell: 1. Freundlicher Start, 2. Reden lassen, 3. Ich-Botschaften, 4. Einigen, 5. Dokumentieren der Einigung und 6. ein Ermutigender Abschluss.

Oft ist eine Mediation hilfreich und notwendig. In einer angstfreien Atmosphäre versucht ein Mediator, die Konfliktparteien zu einem Gespräch und zu gemeinsamen Lösungen zu führen. Dazu sind 10 Schritte hilfreich: 1. Den Konflikt offen ansprechen und nicht verdrängen, 2. den Konflikt definieren, 3. Ziele fixieren mit einem klaren Zeitfenster, 4. das Vorgehen skizzieren und Regeln dafür aufstellen, 5. Bedürfnisse gegenseitig akzeptieren und bejahen, 6. konstruktive Kritik üben, Stärken und Schwächen deutlich machen, 7. Ich-Botschaften senden und damit Standpunkte klären, 8. lösungsorientiert reden statt problemorientiert, 9. Klärungswege fixieren und Versöhnung leben und 10. die gefundene Lösung unterschreiben und mit einem Ritual besiegeln.

Wichtig ist außerdem ist die Konfliktprävention. Dazu gehört vor allem, zuhören zu lernen und den Anderen ernst nehmen, nicht nur uns selbst. Es gilt, vermehrt zu kommunizieren. Dabei ist darauf zu achten, die eigene Wahrnehmung nicht vorschnell als Wahrheit anzusehen. Eine positive christliche Streitkultur ist dringend erforderlich. Dazu gehört eine Werteethik anstelle einer Imageethik Das Angebot der Vergebung muss betont und im täglichen Leben umgesetzt und angewandt werden.

Die diesjährigen Themen stießen auf großes Interesse.

Der Spannungsbogen zwischen Machtausübung und zielgerichteter geistlicher Leitung

Problemstellung

Leitung ist für die Gemeinde unerlässlich. Dazu gehört auch die Vorstellung, was eine Gemeinde erreichen will. Etwa 50 % der Gemeinden antworten auf die Frage, was sie erreichen wollen, dass sie nichts „erreichen“, sondern einfach „Gemeinde“ sein wollen.

Leitung, Autorität und Macht sind an sich nichts Negatives, auch wenn sie missbraucht werden können. Einen „Leiter“ zeichnet aus, dass er Einfluss ausüben kann. Es muss geklärt werden, welche Ziele dabei bestimmend sind. Für Leiterschaft nötig (nach Bill Hybels): eine Vision haben, Mitarbeiter gabengemäß einsetzen, Mitarbeiter motivieren (Teams bilden), Schwierigkeiten angehen (beim größten Problem anfangen, Krisen identifizieren), Veränderungsbedarf erkennen (Veränderungen gestalten, Neues wagen, vieles geschieht gedankenlos), von Gott die Mittel erwarten, am Nachwuchs arbeiten.

1. Biblische Leiterschaft

Josua als Vorbild zeigt wichtige Elemente eines Leiters: 1. Gabe (Ex 16,8), 2. Bewährung (Num 14,6.30), 3. Berufung (Num 27,18–29; Jos 1,2), 4. Vision (Jos 1,3 – Gottes Vision), 5. Ziele (und Erfolg, Jos 1,7.8), 6. Sicherheit (Jos 1,5b), 7. Wort Gottes (Jos 1,7), 8. Stärke, Mut (Jos 1,6.7.9), 9. Motivation (Jos 1,11), 10. Autorität (Jos 1,16), 11. Klugheit (Jos 2,1.24), 12. Bestätigung (Jos 4,14). (Vgl. 1Petr 5,2–3).

Jesus hat „Macht“ abgelehnt, die Satan ihm verleihen wollte (Mt 4,8–9), ebenso die Macht vom Volk (Joh 6,15) und die Macht aus seiner eigenen Kraft (Steig herab vom Kreuz …). Er sagt stattdessen: „Wenn das Weizenkorn nicht stirbt …“ (Joh 12,24) und „Meine Diener hätten gekämpft …“ (Joh 18,36). Für die Jünger heißt dies: „Der Größte unter euch soll euer Diener sein“ (Mt 23,11), „Der Leiter sei wie der Diener“ (Lk 22,26).

2. Macht und Autorität im Management

Für Leiter und Manager in der Industrie sind zwei Faktoren wichtig: Macht und Autorität. Zur Macht gehören: Arbeitsrecht und -ordnung, Kontrolle (z. B. Zieleinhaltung), Beurteilungen, Einstufung und Bezahlung, hierarchische Stellung, überlegene Information und Statussymbole (wie der Firmenwagen oder das eigene Büro).

Entscheidender jedoch sind die mit dem Begriff Autorität verbundenen Merkmale: Souveränität (keine Angst, Unsicherheit), Mut, Klugheit, schnelle Problemlösungen (Gute Lösungen sind schnell, einfach, überzeugend – nach Jack Welsh, General Electrics), Ideen voranbringen (Weitsicht, Konsequenz – Inkonsequenzen führen zu Ungerechtigkeiten), Zuhören (ernst nehmen), Sicherheit geben (berechenbar sein!), eindeutige Anweisungen, Perspektiven eröffnen (um zu motivieren), Vorbild sein (authentisch sein), eigene Pflichterfüllung, integrieren können, Beteiligung an Entscheidungen, Information (ohne Informationen entstehen Gerüchte und Unzufriedenheit), Freude teilen. Wenn diese Elemente vorhanden sind, führt es zu Motivation der Mitarbeiter und einem hohen Einfluss, der auf Autorität zurückgeht.

Machtbefugnisse sollten nur in Krisenfällen eingesetzt werden! Keinesfalls sollten sie anstelle fehlender Autorität treten, oder wenn man in einer bestimmten Situation mit dem Rücken zur Wand steht. Problematisch kann es sein, wenn Leute Autorität haben, aber innerhalb des Systems keine Macht (hierarchische Struktur). Persönlichkeit schafft Position, aber Position schafft nicht Persönlichkeit.

In Referaten und Diskussionen wurden die Themen erschlossen.

3. Macht und geistliche Leitung

Geistliche Leitung und Macht schließen sich nicht aus (1Thess 5,12–14), müssen aber in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen. Dazu gehört, dass die Leitung in der Gemeinde deutlich macht, was sie will. Auch für die Gemeinde ist wichtig, was in Führungsgrundsätzen des Chemiekonzerns Bayer steht: „Der Vorgesetzte hat Anerkennung und Kritik deutlich zum Ausdruck zu bringen.“

Leitung im NT steht oft im Plural. In der Industrie gehört „Teamgeist“ zu den am allermeisten gefragten Fähigkeiten bei Stellungsangeboten. Demgegenüber scheint unsere Ausbildungsstruktur in Deutschland (auch im geistlichen Bereich) auf den „Einzelkämpfer“ zugeschnitten zu sein. Leitung im Team verhindert, dass Einzelne sich in den Vordergrund schieben und Macht an sich reißen.

Das nächste Treffen der Facharbeitsgruppe Praktische Theologie findet am 8. und 9. März 2004 in Wiedenest statt. Inhaltlich wird es um Evangelistische Gottesdienste (Pfr. Christian Schwark) und Neuere Ansätze in der praktischen Theologie (Stefan Schweyer) gehen. Thematisch dazu passend werden zwei Promotionsvorhaben vorgestellt. Außerdem ist geplant, gemeinsam zu erarbeiten, was unter dem Begriff „Gottesdienst“ zu verstehen ist. Dazu sollen Kurzstatements aus unterschiedlicher konfessioneller Prägung vorgestellt werden.

 
aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 9/1 (2003)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie
08.12.2007 – http://www.afet.de