Teilnehmer 2003

Geschichte verstehen und deuten

Die Tagung der Facharbeitsgruppe Altes Testament

Herbert H. Klement

Fast dreißig Alttestamentler haben sich am diesjährigen Treffen der Facharbeitsgruppe AT im AfeT (FAGAT) vom 9. bis 11. März 2003 eingefunden. Seit den ersten Anfängen hat die FAGAT damit stetig an Interessenten gewonnen.

Theologie und Historie in 1Kön 11

Als roter Faden der Beiträge in diesem Jahr war das Thema Geschichte bestimmt. Natürlich konnten nur wenige Fassetten dieses theologisch wichtigen Forschungs- und Lebenshorizontes ausgeleuchtet werden. Den Einstieg machte Drs. Jens Pracht. Er berichtete unter dem Thema Wann erhoben sich die Widersacher? Theologie und Historie in 1Kön 11 vom Stand der Überlegungen zu seinem Dissertationsprojekt an der Theol. Uni Appeldoorn, NL. Dass gerade in biblischer Historiographie theologische Wertung kein Widerspruch zu historischer Verlässlichkeit ist, ist lange beobachtet worden. Jens Pracht verdeutlichte, wie er diese Spannung an der Darstellung des Edomiters Hadad und des Syrers Reson versteht. Beide befinden sich im Aufstand gegen den König auf dem Davidsthron. Ihre Aktionen werden im Text jedoch nicht aus archivarischem oder historischem Interesse notiert, sondern theologisch gewertet als Folge aus Salomos Götzendienst in Zusammenhang mit seinen politischen Eheschließungen.

Torsten Uhlig, Dr. Karl Möller

Das Scripture and Hermeneutics Seminar in Cheltenham

Das zweite Hauptreferat hielt Dr. Karl Möller, Dozent an der University of Gloucestershire in Cheltenham (UK). Er berichtete über das seit 1998 in Cheltenham begonnene Scripture and Hermeneutics Seminar. Jährlich finden unter diesem Label an verschiedenen Orten Symposien zu hermeneutischen Fragen unter verschiedenen theologischen Aspekten statt: Bestandsaufnahme der Forschung, die Relevanz der Linguistik, die Möglichkeit ethischer Aussagen, die Relevanz der Geschichte für die Theologie usw. Bei der Erarbeitung ist nicht beabsichtigt, sich auf einen Konsens und abschließendes Statement zu einigen, unterschiedliche Positionen können nebeneinander stehen bleiben. Dabei kommen nicht nur evangelikale Stimmen zur Sprache, sie haben jedoch über die Initiatoren ein deutlich erkennbares Gewicht. Bisher sind aus diesem Projekt drei Bände erschienen, weitere sollen folgen (Renewing Biblical Interpretation, hg. C. Bartholomew, C. Green, K. Möller, 2000; After Pentecost: Language and Biblical Interpretation, hg. C. Bartholomew, C. Green, K. Möller, 2001; A Royal Priesthood? The Use of the Bible Ehtically and Politically. A Dialoge with Oliver O’Donovan, hg. C. Bartholomew, J. Chaplin, R. Song, A. Aolters, 2002).

Näher skizziert hat Karl Möller das vierte Seminar, das sich mit der Frage der Geschichte befasst hat (erscheint Nov 2003: Behind the Text: History and Biblical Interpretation, hg. C. Bartholomew, C. S. Evans, M. Healy, M. Rae). Ein Schwerpunkt der 20 Beiträge dieses Bandes ist die Diskussion mit dem philosophischen Ansatz von Alvin Platinga (University of Notre Dame, USA). Platinga, Philosoph, nicht Theologe, hat sich mit Fragen des Glaubens und der Glaubenserkenntnis befasst. Im Rahmen der Troeltschen Exegesemethodik hält er besonders die Forderung nach Analogie für problematisch, auch kritisiert er aus epistemologischen Gründen die Ablehnung des Zeugnisses der heiligen Schrift und des Heiligen Geistes als wissenschaftlich unzulässig. Er setzt sich ein für eine größere Eigenpositionierung in Glaubensaussagen. Angesichts zeitgenössischer philosophischer Erkenntnis sei eine Positionierung der Erkenntnis in philosophischen oder theologischen Grundüberzeugungen nicht nur zulässig, sondern unausweichlich und nötig. Christen sollten die ihre Erkenntnis leitenden Überzeugungen offen legen. Die Position müsse dann jedoch in sich konsistent und glaubwürdig sein („warranted“).

Dr. Christoph Rösel, Dorothea Bender, Dr. Jens B. Kofoed, Cambron Teupe

Schriftliche und mündliche Überlieferungen in der hebräischen Bibel

Um Schriftliche und mündliche Überlieferungen in der hebräischen Bibel ging es in dem Referat von Dr. Jens Bruun Kofoed von der „Copenhagen Lutheran School of Theology“, der damit einige Ergebnisse seiner im Dezember 2002 in Aarhus/Dänemark angenommenen Dissertation zur Diskussion stellte (noch nicht veröffentlich: Text and History: The Old Testament Texts as Sources for the History of Ancient Israel). In dieser Arbeit hat sich Kofoed mit Denkvoraussetzungen und Methodik der sog. Kopenhagener Schule kritisch auseinandergesetzt. Dort wird angenommen, dass es eine zutreffende mündliche Überlieferung von historischen Ereignissen über mehr als drei Generationen nicht geben könne und deshalb die durchweg nachexilisch datierten biblischen Geschichtstexte als historische Quellen als prinzipiell unbrauchbar ausfielen. Kofoed machte deutlich, dass die Gedächtnisleistungen in Kulturen ohne Massendrucksachen erheblich unterschätzt würden. Aus Untersuchungen in unterschiedlichen Volksgruppen zeigte er, wie bestimmte Traditionen über lange Zeiträume mündlich erstaunlich gut überliefert wurden. Dies trifft in überwiegend oralen Kulturen besonders auf solche Geschichten und Informationen zu, die eine Relevanz für die Identität einer Gruppe hätten. Da die biblischen Geschichten Israels in hohem Maße seine Identität als Volk Jahwes begründen und umschreiben und oft im Festkalender oder an geographisch festen Orten erinnrt wurden, erscheint es aus den genannten ethnologischen Einsichten als methodisch fehlleitend, eine hohe Zuverlässigkeit auch mündlicher Überlieferungen über längere Zeiträume in Israel prinzipiell auszuschließen. Der methodische Ansatz der Kopenhagener Schule, die schriftlichen und mündlichen Überlieferungen Israels als historische Quellen für die Darstellung der Geschichte Israels zu streichen, sei deshalb selbst unter der zu bestreitenden Prämisse einer erst nachexilischen schriftlichen Fixierung methodisch irrig und unzulässig. Der Vergleich mit anderen Kulturen lässt im Gegenteil erwarten, dass auch die Texte zur Herkunft und Geschichte Israels sorgfältig überliefert seien.

Große Runde, vorne: Dr. Beat Weber im Gespräch mit Dr. Karl Möller

Darstellung und Bedeutung der Geschichte in Psalm 78

Das letzte Referat von Pfr. Dr. Beat Weber, Präsident der schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für biblisch erneuerte Theologie (AfbeT), befasste sich mit der Darstellung und Bedeutung der Geschichte in Psalm 78 [vgl.: Beat Weber, „Psalm 78: Geschichte mit Geschichte deuten“, ThZ 56 (2000) 193–214]. Es handelt sich um den zweitlängsten Psalm, dies verleiht ihm Gewicht, wie auch die Mittelstellung in der Asaph-Psalmgruppe 73–83 (Aufbau: Ps 73 // 74+75+76 // 77+78+79 // 80+81+82 // 83). Weber erkennt für Ps 78 mit Präömium und neun Stanzen einen zehnteiligen Aufbau. (Präömium: 78,1b–3; Stanze I: 78,4–8; II: 9–16; III: 17–22; IV: 23–31; V: 32–39; VI: 40–48; VII: 49–55; VIII: 56–64; IX: 65–72). Stanze I und IX sieht Weber als Rahmen, die Gruppen II–III–IV und VI–VII–VIII als miteinander korrespondierend, Stanze V fällt eine Mittelstellung zu. Dieser als „Maschal“ und „Rätsel“ (V. 2) verstandene Asaph-Psalm will unterweisen, lehren, Thora vermitteln. Er tut das, indem er Geschichte erzählt. Für Weber setzt das einen Abstand zu den geschilderten Ereignissen voraus (Verlust der Lade von Silo). Während andere eine Abfassungszeit z. Zt. Davids für wahrscheinlich halten, nimmt Weber einen Ursprung unter Nordreichsleviten nach der Katastrophe 722 als wahrscheinlich an. Mittels der Vergegenwärtigung der früheren Geschichte wird die zeitgenössische Erfahrung des Endes Israels theologisch bewältigt. Der berechtigte Zorn Els wird anerkannt und darin seine Entscheidung begründet, statt Ephraim (Nordreich, Israel) nun Juda und den Zion zu erwählen (V. 57f).

Zwei Tage ermöglichten gute fachliche und soziale Gemeinschaft, die auch durch einen Kurzbericht von Dr. Friedbert Ninow mit Bildern von seinen Ausgrabungen in der Moabitis angereichert waren. Angesichts der Weite der Beiträge versteht es sich von selbst, dass die Diskussionen anregend und weiterführend waren. – Termine für die nächsten FAGAT-Seminare wurden für zwei Jahre vereinbart: 7. bis 9. März 2004 und 6. bis 8. März 2005.

Andreas Käser, Dr. Friedbert Ninow, Dr. Erich Scheurer, Drs. Walter Hilbrands

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen – ETM 9/1 (2003)
Herausgeber: AfeT – Arbeitskreis für evangelikale Theologie

01.06.2003