Das Doktoranden- und Habilitandenkolloquium

Uwe Rechberger

„Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen...“ (Ps 133) – so die Losung zu unserem Kolloquiumswochenende am 8. und 9. März 2002. Und es war schön, in einer inzwischen konstant großen Runde von 16 Brüdern Neues aus der wissenschaftlichen Forschung zu hören und zu diskutieren. In diesem Jahr hätte sich das Doktoranden- und Habilitandenkolloquium auch als FAGNT treffen können. Drei der vier Vorträge hatten neutestamentliche Themen zur Grundlage. Ein Blick in die Kirchengeschichte rundete die Tagung ab.

Christologie und Tradition

Detlef Häußer (Marburg) stellte einen Ausschnitt aus seinem Dissertationsprojekt zum Thema „Christologie und Tradition bei Paulus“ vor und referierte über die Verbindungen von 1Kor 15,3ff zur Jesusüberlieferung. Er geht von der Voraussetzung aus, dass es sich in 1Kor 15,3ff um eine Reihe von simanim handelt. Simanim sind Kurzüberschriften für eine Erzählung und wurden (von den Rabbinen) als mnemotechnisches Mittel verwendet. Der Vortrag versuchte zu zeigen, dass die Sätze der vorpaulinischen Tradition von 1Kor 15 in Kontinuität zu Jesu Selbstbekenntnissen (Mk 14,61f; Leidensansagen) einerseits und zur erzählenden Jesusüberlieferung andererseits stehen und diese zusammenfassen. Auch hinsichtlich der ab Vers 6 geschilderten Erscheinungen, deren Zugehörigkeit zur Tradition in der Forschung allerdings umstritten ist, sind Bezüge zur Evangelientradition nicht auszuschließen. Die Erscheinung vor allen Aposteln ist am ehesten mit Apg 1 zu verbinden. Der Vortrag endete mit Erwägungen zur schrittweisen Entstehung von 1Kor 15,3b–8.

Teilnehmer des Doktoranden- und Habilitandenkolloquiums 2002
Teilnehmer des Doktoranden- und Habilitandenkolloquiums 2002

Heiliger Geist und Ethik

Volker Rabens (Tübingen/London) beschäftigt sich mit dem Thema: „Transforming Relationship: The Spirit’s Empowering for Religious-Ethical Life according to the Apostle Paul.“ Im Mittelpunkt steht die Frage: Welche Rolle spielt der Heilige Geist bei der Ermöglichung des ethischen Lebens bei Paulus? Zu ihrer Beantwortung wird zunächst eine Forschungsrichtung untersucht, die mit der religionsgeschichtlichen Schule ihren Einzug in der Paulusexegese gehalten hat. Dieser Ansicht nach ist der Heilige Geist als eine stofflich-materielle Substanz zu verstehen, deren Empfang den Menschen naturhaft-ontisch transformiert und so zum ethischen Leben befähigt. Dieses Modell wird vor allem aufgrund seiner problematischen Interpretation der Metaphern, mit denen Paulus das Wirken des Geistes beschreibt, kritisch hinterfragt. Im zweiten Teil des Vortrags wird ein neues Modell vorgestellt: Der Geist ermöglicht das ethische Handeln des Gläubigen vor allem durch die von ihm gewirkten intensiven Beziehungen zu Gott, Jesus und den Glaubensgeschwistern. So geschieht sowohl Transformation als auch "empowering" (Stärkung) des Christen für das ethische Leben.

Fürbitte für die Obrigkeit

In einem dritten Vortrag stellte Markus Steinhilber (Tübingen) einen Ausschnitt aus seiner Arbeit vor: „Die Fürbitte für die Obrigkeit im Frühjudentum und im Urchristentum“. Die Gemeinde der Pastoralbriefe wird in 1Tim 2,1f aufgefordert, für alle Menschen „Bitten, Gebete, Fürbitten und Danksagung“ zu tun, „für Könige und alle, die in Hoheit sind“. Traditionsgeschichtlich ist diese Praxis aus dem Frühjudentum herzuleiten (vgl. Esr 6,10). Entscheidend für das Aufkommen dieser Fürbittepraxis war die aufgeschlossene Religionspolitik der persischen Großkönige in Verbindung mit vorexilischen theologischen Entwürfen. Unter den atl. Traditionen ist auf Jer 29,7 zu verweisen: Wie kam es zu dieser Teilgabe der Völker am Schalom? Die Exilsgemeinde wird durch ein JHWH-Wort (Jer 29,4) aufgefordert, die Fürbitte für den eigenen Herrscher (Ps 61,7f; 72,5.17; Ps 84; 2Kön 16,15f) auf den Fremdherrscher zu übertragen. Weil JHWH den Völkern Anteil am Schalom geben will (Schalom als Gabe JHWHs; vgl. Jer 4,10; 6,14; 8,11), kann die Exilsgemeinde nicht anders als diesen JHWH-Willen im Kult umzusetzen. Als Vorbild für eine Bitte, die das Heil der Feinde einschließt, kann Jeremia selbst dienen; seine Frömmigkeit ist geradezu exemplarisch (18,19). Eingebettet ist diese Fürbitte bei Jeremia in dessen universale JHWH-Verkündigung (1,10): Als Schöpfer ist JHWH nicht mehr allein der Gott Israels, sondern der der ganzen Welt (27,5ff; 18,1–12). Obwohl Jeremia mit dieser universalen Perspektive nicht alleine steht, bezieht er allein jedoch in seiner Verkündigung die Völker in den Kult ein.

Mönche des frühen Mittelalters

Schließlich erlaubte Matthias Vosseler (Kirchheim am Neckar) einen Blick in die Kirchengeschichte des frühen Mittelalters. Das siebte Jahrhundert war für die Kirchengeschichte Palästinas eine Zeit des Umbruchs: die persische Eroberung des Landes 614 sowie die arabische Eroberung zwischen 634 und 638 hinterließen tiefe Spuren im Leben der dortigen Bevölkerung. In seinem Vortrag ging es um die Biographie eines Mönchs namens Georg, der in eben dieser Zeit vor allem im später nach ihm genannten Georgskloster zwischen Jerusalem und Jericho wohnte. Neben der Übersetzung seiner vita aus dem Griechischen, ist seine Arbeit ein Kommentar zu den wichtigsten Themen dieser Biographie, als da sind das Alltagsleben der Mönche in der Wüste, ihre vollbrachten Wunder und ihre Theologie. Diese wird am besten in den langen Reden an ihre Mitbrüder ersichtlich. Die Mönche lebten ein Leben in der Nachfolge Christi, das sie (in Anlehnung an Kolosser 3) als "Ablegen alles Bösen und aller Untugenden und Anziehen der einzelnen Tugenden verstanden. Im Vergleich mit anderen Mönchen seiner Zeit bleibt Georg bei der Frage, wieweit ein Mensch mit seiner Tugend kommen kann, sehr vorsichtig. Das Höchste, was ein Mensch in seinem Leben erreichen kann, ist das beständige Anrufen Gottes mit der Bitte um sein Erbarmen.

Neben der Vielfalt wissenschaftlich theologischer Arbeit hatte auch die Gemeinschaft und nicht zuletzt die geistliche ihren Raum. Abschließend gilt der Dank Prof. Dr. Rainer Riesner für seine theologische Betreuung und seiner Familie für die herzliche Gastfreundschaft am Freitagabend. Ebenso herzlich danken wir Frau Waltraud Rath, Hausmutter im Albrecht-Bengel-Haus, für Ihre exzellente Verköstigung.

Der Termin für das kommende Jahr ist der 14.–15.03.2003, zu dem weitere Interessierte herzlich willkommen sind!

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen - ETM 8/1 (2002)
Herausgeber: AfeT - Arbeitskreis für evangelikale Theologie

22.09.2002
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