Archäologie und ein Altar, Linguistik und Hermeneutik

Das Frühjahrsseminar der Facharbeitsgruppe Altes Testament

Thorsten Uhlig

Eine große Runde hatte sich wieder zur diesjährigen FAGAT-Tagung vom 3.–5. März 2002 im Haus Friede in Hattingen zusammengefunden und erfreulicherweise waren auch in diesem Jahr einige Alttestamentler aus den skandinavischen Ländern und den Niederlanden dabei. Entsprechend den Forschungsschwerpunkten der Teilnehmer umfassten die Referate eine große Bandbreite.

Die Stadt im Bachtal

In dem ersten Referat gab Doz. Dr. Friedbert Ninow (Theologische Hochschule Friedensau) einen Einblick in seine gegenwärtigen archäologischen Forschungen in Jordanien. Seit einigen Jahren schon arbeitet das Institut für Altes Testament und Biblische Archäologie der Hochschule in dem Gebiet des biblischen Moab und konzentriert sich hier u.a. auf die eisenzeitliche Ortslage Khirbet al-Balua. Sie liegt im Norden des moabitischen Kernlandes, das an das Wadi al-Mujeb grenzt, dem biblischen Fluss Arnon. In einem Aufstieg von diesem Wadi, einem riesigen Canyon, zum moabitischen Plateau und zur Ortslage Khirbet al-Balua wurde jetzt eine bisher unbekannte Stadtanlage gefunden, nach der Gegend arabisch Khirbet al-Mamariyeh genannt. Die Keramikfunde verweisen auf eine bedeutende eisenzeitliche Besiedelung dieser Stadt. Ninow äußerte die Vermutung, dass es sich dabei um die in Dtn 2:36 erwähnte, namenlose „Stadt im Bachtal“ handele. Ferner könnte man die Ortslage Khirbet al-Balua wohl mit der in der Bibel erwähnten Stadt Ar (Num 21:12ff; Jes 15:1) identifizieren. Hierzu sind jedoch weitere Forschungen nötig, deren Finanzierung leider noch nicht gesichert ist. Sollten sich die Vermutungen aber erhärten lassen, passten die Beobachtungen bestens zu den Berichten von der Besiedlung Moabs in der Zeit des Exodus des Volkes Israel.

Doz. Dr. Friedbert Ninow
Doz. Dr. Friedbert Ninow

Text-linguistische Exegese des 1. Samuelbuches

Michael Ponsford gab einen Einblick in die text-linguistische Exegese (Discourse Analysis) anhand des 1. Samuelbuches. Hierbei konzentrierte er sich v.a. auf die Kap 9–11 und 18–20 und vermittelte einige interessante Detailbeobachtungen. Ponsford betonte die Chancen text-linguistischer Exegese. Sie bietet in ihrem Ansatz Möglichkeiten, neu auf den biblischen Text an sich zu hören. Die Konzentration z.B. auf Personencharakterisierung oder Handlungsabläufe vermag herkömmliche Vorstellungen und Interpretationen durchaus in Frage stellen. So wird nach Ponsford die Interpretation, Saul sei Menschenwahl, David hingegen Gottes Wahl gewesen, den Texten nicht gerecht. Sie bieten vielmehr eine tiefer greifende Darstellung der Personen und können nicht auf solch’ einfache Formeln gebracht werden. In der anschließenden Diskussion wurde das Verhältnis von text-linguistischer Exegese und Historiographie problematisiert. Es wurde einerseits darauf hingewiesen, bei der Aufnahme von literaturwissenschaftlichen Ansätzen auf deren (sprach-)philosophische Voraussetzungen zu achten. Andererseits bleibt jedoch auch festzuhalten, dass sie eine unerlässliche Hilfe für die Wahrnehmung der historischen Ereignisse, die die Texte beschreiben, sein können.

Michael Ponsford, Uwe Rechberger, Dr. Stefan Felber und Roland Hees
Michael Ponsford, Uwe Rechberger, Dr. Stefan Felber und Roland Hees

Die Gattungen der Heilsworte in Jes 40ff

In dem dritten Referat stellte Uwe Rechberger (Tübingen) einen Teil seines Dissertationsvorhabens zum „Stimmungsumschwung in den Individualpsalmen“ vor, in dem er sich mit der forschungsgeschichtlich bedeutenden These Joachim Begrichs auseinandersetzt, der Stimmungsumschwung sei durch ein Heilsorakel, erteilt durch einen Priester, zu erklären. Nach Begrich sei die Form eines solchen „priesterlichen Heilsorakels“ v.a. in Deuterojesaja (Jes 40ff) zu finden. An dem Beispiel Jes 43,1–7 und seiner formalen Einheit und Eingebundenheit in den literarischen Kontext zeigte Rechberger, dass die als „Heilsorakel“ bezeichneten Heilsworte in Jes 40ff nicht im Gegenüber zu den Klagen, sondern im Kontext und Gegenüber zu Gerichtsworten zu verstehen sind. Ferner problematisierte Rechberger die Gattungsbestimmung der Heilsworte als Orakel und zeigte, wie die Texte in Jes 40ff geradezu in Antithese zu Orakel, Wahrsagerei und Mantik treten. Demnach ist die Gattungsbestimmung „priesterliches Heilsorakel“ für die Heilsworte in Jes 40ff ungeeignet. Rechberger befürwortete demgegenüber, Überlegungen zu Sprech-Akten aufzugreifen und für die Interpretation der Heilsworte fruchtbar zu machen. Von daher legt es sich nahe, die Heilsworte in Jes 40ff zu unterscheiden in explizit performative Heilszusagen (deklarativer Sprechakt) und in futurische Heilsankündigungen (kommissiver Sprechakt). Wenngleich eine Bestimmung ihres „Sitzes im Leben“ schwierig bleibt, lassen sich die Heilsworte in Jes 40ff möglicherweise aufgrund von Form-Parallelen in assyrischen Prophetien an Könige aus dem 7. vorchristlichen Jahrhundert ihrer Gattung nach als „Heilszusage bzw. -ankündigung an den König“ charakterisieren.

Dr. Mart J. Paul (NL), Dr. Stefan Fischer (CH), Doz. Carsten Vang (DK)
Dr. Mart J. Paul (NL), Dr. Stefan Fischer (CH), Doz. Carsten Vang (DK)

Mit der Widerlegung der Hypothese von „priesterlichen Heilsorakeln“ in Jes 40ff fallen auf jeden Fall die Beweistexte für Begrichs Erklärung des Stimmungsumschwungs weg. In der anschließenden Diskussion wurde die Hoffnung geäußert, bald Rechbergers Erklärung für den Stimmungsumschwung zu erfahren, die den Hauptteil seiner Arbeit ausmachen wird.

Dorothea Bender (D) und Dr. M.J. Paul (NL)
Dorothea Bender (D) und Dr. M.J. Paul (NL)

Das Altargesetz in Ex 20,22–26

In seinem Vortrag über das Altargesetz in Ex 20,22–26 richtete Doz. Frank Koppelin (Bucer-Seminar Bonn) nach einem kurzen Überblick über die Stellung des Altargesetzes im Bundesbuch und seine Struktur sein Hauptaugenmerk auf eine ausführlichere Exegese und die Darstellung der Bedeutung des Altargesetzes im alttestamentlichen Kontext. So stellte Koppelin im Gegensatz zu religionsgeschichtlichen Interpretationen heraus, dass die Anweisung, den Altar aus Lehm oder unbehauenen Steinen zu errichten, v.a. die Naturbelassenheit des Baumaterials sicher stellen soll, was den Altären ähnelt, die die Erzväter errichtet haben. Das Verbot von Stufen vor dem Altar gehe davon aus, dass Nicht-Priester an einem solchen Altar opferten. Dies alles deutet darauf hin, dass der hier beschriebene Altar von dem in der Stiftshütte (Ex 27) und dem späteren Tempel zu unterscheiden ist. Er sei nach Koppelin für einen begrenzten Zweck und nicht für kontinuierlichen Gebrauch gedacht. Beachtet man v.a. den Kontext des Bundesbuches, so stehe er im Zusammenhang des Bundesverhältnisses zwischen YHWH und Volk, etwa um einen Bundesschluss zu vollziehen (so dann in Ex 24,4) oder des Bundes zu gedenken (z.B. Dtn 27,5f; Jos 8,30f).

In der anschließenden Diskussion wurden einige Detailfragen der Exegese vertieft und das schwierige Verhältnis zwischen Altargesetz (Ex 20,22–26) und Kultzentralisation (Dtn 12) problematisiert.

Joachim Schuster, Torsten Uhlig und Stefan Kürle
Joachim Schuster, Torsten Uhlig und Stefan Kürle

Die Bedeutung von Vischers Ansatz für den heutigen Bibelgebrauch

In dem letzten Referat konzentrierte sich Doz. Dr. Stefan Felber (Theologisches Seminar Chrischona, Basel/Ch) auf die Bedeutung von Wilhelm Vischers „Das Christuszeugnis des Alten Testaments“ für den heutigen Bibelgebrauch und damit auf ein hermeneutisches Thema. Ausgehend von zwei Erlebnissen stellte Felber die Frage, ob es angesichts von historisch-kritischem Lesen des Alten Testaments und postmodernen rezeptionsästhetischen Entwürfen noch eine Möglichkeit gibt, dass Gott uns anspricht, oder ob wir letztlich nur noch uns selbst hören beim Lesen der Bibel. Felber griff hierzu Aussagen Vischers auf, wonach das Eigentümliche des A.T. darin besteht, dass es nach vorwärts auf den Kommenden (nämlich Christus) verweist. Damit ist eine Wirkung verbunden, die der Text selbst auf den Leser ausübt. Dies ist einerseits gegen die historisch-kritische Herangehensweise zu sagen, die den Leser völlig ignorierte und die Texte einzig nach rückwärts gewandt zu interpretieren versuchte. Damit ist andererseits aber gegen das rein rezeptionsästhetische Vorgehen gesagt, dass der Text auf eine Instanz außerhalb seiner selbst verweist, die am Verstehensprozess beteiligt ist und auf eine Veränderung des Lesers abzielt. Infolgedessen aber kann sich der Leser nicht mehr als dem Text übergeordnete Größe verstehen. Ferner liegt die Wirkung des Textes nicht in der Verfügung des Lesers. Insofern es Gott selbst ist, der durch den Text redet, darf und kann dies durch keine Methode „ausgeschaltet oder determiniert oder kanalisiert werden“. Felber betonte in seinen weiteren Ausführungen die Bedeutung von Vischers Ansatz besonders in der Methodendiskussion und im Gegenüber zur historisch-kritischen Methode, problematisierte den weniger kritischen Geschichtsbegriff Vischers und seine Auswirkungen auf die Interpretation des AT, ging auf den konkurrierenden Anspruch von Juden und Christen auf das rechte Verständnis des AT ein und bemerkte unter Rückgriff auf Vischer, dass es bei einem christologischen Lesen des AT „nicht um eine Enteignung der Juden, sondern um die Aneignung des Heils“ geht, das „dem einen Gottesvolk aus Juden und Heiden gegeben ist“. Schließlich hob Felber noch einmal hervor, dass die Vergegenwärtigung der biblischen Texte beim Leser durch den Heiligen Geist selbst geschieht. In der anschließenden Diskussion wurde v.a. die Verhältnisbestimmung von Heiligem Geist und Methode problematisiert.

Teilnehmer des Seminars der Facharbeitsgruppe Altes Testament 2002
Teilnehmer des Seminars der Facharbeitsgruppe Altes Testament 2002

Neben den Referaten wurden die Teilnehmer ermutigt, über die künftige Arbeit und mögliche Vorhaben der FAGAT nachzudenken. Positiv wurde das baldige Erscheinen eines Methodenbuches zur Auslegung des Alten Testaments begrüßt. Man war sich ferner darin einig, dass weitere Publikationen erstrebenswert seien. Trotz der enormen Arbeitsbelastung vieler könnte eine Chance in der Bildung kleinerer Arbeitsgruppen zu bestimmten Schwerpunktthemen (Einleitungsfragen, Theologie des AT, einzelne biblische Bücher) liegen.

Die diesjährige Tagung war ein ermutigendes Treffen, bei dem sich auch „Neulinge“ schnell wohlfühlen konnten. Gespräche am Rande und die Andachten mit den Gebetszeiten ließen das Seminar zu einer wirklichen Gemeinschaft werden, in der auch persönliche Anliegen ihren Platz hatten. Und so schauen wir erwartungsvoll auf die nächsten Tagungen der FAGAT, die Termine sind: 09.03.–11.03.2003 und 07.–09.03.2004.

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen - ETM 8/1 (2002)
Herausgeber: AfeT - Arbeitskreis für evangelikale Theologie

22.09.2002
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