Interview mit Hans-Jürgen Peters:
Warum sollte man in ein Studienhaus einziehen?

Warum sollte man in ein Studienhaus einziehen?

H.-J. Peters: Ich möchte zunächst eine persönliche Antwort geben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich geistlich gesund und fruchtbar durch mein Studium gekommen wäre ohne Studienbegleitung. Ich war angewiesen auf Menschen, die mein Vertrauen besaßen, die meine Fragen verstanden und sie mir beantworteten, die mir widerstanden, wenn es nötig war und die mir doch die nötige Freiheit zur Krise und zur Entwicklung ließen. Es war gut, Menschen zu begegnen, die mir Mut machten, geistlich und biblisch orientiert zu denken, auch wenn ich dafür manchmal das mitleidige Lächeln einiger Mitstudenten in Kauf nehmen musste. Das hat mir geholfen, dem Wort Gottes, der Bibel, kindlich zu vertrauen und gleichzeitig kritisch zu bleiben gegenüber dem, was oft sehr selbstverständlich in Theologie und Kirche behauptet wird, aber mehr dem neuzeitlich-aufgeklärten Denken verpflichtet ist als dem Wort Gottes. Ich denke, dass es wichtig ist, Lehrer zu haben, in deren Gegenwart man in dieser Weise geistlich denken lernen kann. Ein Studienhaus bietet vielfältige Möglichkeiten, entsprechende Angebote wahrzunehmen.

Daneben spielt die seelsorgerliche Begleitung im Theologiestudium eine immer größere Rolle. Viele Studierende kommen heute hoch motiviert, aber unsicher ins Studium. Einige tragen beschwerliche „Päckchen“ mit sich herum, von denen man zu Anfang gar nichts ahnt. In bin in letzter Zeit mehrfach Studenten begegnet, die es sehr schätzten, wenn man ihnen eine qualifizierte Rückmeldung gab. Sie wollen gerne wissen: „Wer bin ich?“ „Wie werde ich wahrgenommen“ „Was kann ich?“ „Was kann ich noch lernen?“ Auch für diese Fragen bietet ein Studienhaus die Möglichkeit, geeignete Gesprächspartner zu finden und im Zusammenleben mit anderen Studenten das Nötige zu lernen.

Welche Frage erscheint Ihnen in der Studienarbeit derzeit am brennendsten?

H.-J. Peters: Darf ich auf diese Frage, auch wenn sie einen Superlativ enthält, zwei Antworten geben? Ich halte die sog. „Schriftfrage“ weiterhin für die entscheidende im Theologiestudium. An der Stellung zur Heiligen Schrift entscheidet sich der weitere Weg eines Menschen und die Fruchtbarkeit seiner späteren Aufgabe. Hier entscheidet es sich, ob jemand in Vollmacht das Wort Gottes auslegt, oder letztlich nur seine theologische Meinung über eine Sammlung vorderorientalischer Texte abgibt. Wer die Bibel als Wort Gottes verstehen möchte, wird im Theologiestudium mit einem wissenschaftlichen Vorurteil konfrontiert, das eine solche Einstellung sehr fragwürdig erscheinen lässt oder sie zumindest in den Bereich des persönlichen Frömmigkeitsstils verweist, der für das theologische Urteil keine grundsätzliche Bedeutung hat. An dieser Stelle muss eine wichtige geistige und geistliche Auseinandersetzung geführt werden, in der man viel lernen kann und die für den späteren Dienst fruchtbar werden wird.

Diese Themen werden aber zur Zeit von den Studierenden meist nicht mehr als existentielle Fragen verstanden. Die persönlichen Fragen stehen zu sehr im Vordergrund, als dass man den Rücken dafür frei hätte, sich um diese Probleme zu kümmern. Aus diesem Grunde entspricht der Bedarf, die Schriftfrage für sich zu klären, nicht immer dem eigenen Bedürfnis. Und deshalb rückt die zweite Fragestellung an die erste Stelle – die Lebensfragen sind vordringlich. In der Studienarbeit ist es von daher wichtig, Studenten zu ermutigen, ein persönliches Verhältnis zu Gott zu haben, die Bibel für sich persönlich zu lesen, zu beten, regelmäßig einen Gottesdienst zu besuchen, aber auch an dem zu arbeiten, was sie im Zusammenleben mit anderen beschwert oder blockiert und was sie im Aufnehmen und Verarbeiten von theologischen Themen lähmt. Studienbegleitung wird so zur Lebensbegleitung.

Wenn die Frage darauf zielt, welche neuen theologischen Herausforderungen uns heute gestellt sind, dann würde ich neben den sexualethischen (Ehe, Homosexualität) und bioethischen Themen die Frage nach dem Verhältnis des christlichen Glaubens zu den anderen Religionen nennen – zugespitzt: ob der Anspruch Jesu, der Weg zu Gott zu sein, für uns noch Gültigkeit hat.

Kann man einem Studienanfänger angesichts der Lage in Universitätstheologie und Kirche noch ernsthaft zum Studium an der Uni raten?

H.-J. Peters: Obwohl ich mit Leidenschaft Theologe und Seelsorger bin, tue ich mich immer ein wenig schwer damit, jungen Leuten das Theologiestudium anzuraten. Ich habe zu oft erlebt, dass geistlich und missionarisch motivierte Studenten durch das Studium – nicht zu ihrem Besseren – umgeprägt wurden. Man muss diese mögliche Gefährdung meines Erachtens ganz nüchtern sehen und von daher auch „die Kosten überschlagen“, wenn man das Studium der Theologie aufnimmt. Ich erlebe aber auch, wie Gott junge Menschen für seinen Dienst beruft und sie in dieses Studium führt. Und ich erlebe, wie aus Ihnen dann prächtige Pfarrer oder Religionslehrer werden, die wir so dringend benötigen. Ich habe darüber hinaus selbst erfahren, dass die theologische Beschäftigung mit den gegenwärtigen Zeitfragen, wie sie an einer staatlichen Universität gestellt werden, nicht etwa einen notwendigen Umweg darstellen. Das Studium der Theologie gehört zu den am breitesten angelegten, reichsten Studiengängen. Das Durchdenken und Beantworten grundlegender Fragestellungen bereichert das eigene Leben und das der Gemeinden ungemein. Ich habe in meiner Zeit als Assistent am Tübinger „Institut für Missionswissenschaft und Ökumenische Theologie“ in der Begegnung mit Theologen und Missionaren aus anderen Ländern auch erfahren, dass wir uns in Deutschland nicht – wie oft behauptet wird – mit „Sonderfragen“ beschäftigen, die die übrige Welt nichts angehen. Wir brauchen sowohl in Deutschland als auch in der Mission Leute, die sich gründlich mit den augenblicklich diskutierten Fragen auseinandergesetzt haben. Diese Auseinandersetzung lässt sich am umfassendsten und gründlichsten dort führen, wo diese Themen diskutiert werden in einer möglichst großen Breite, die unserer Gesellschaft entspricht. Deshalb am Ende doch ein „Ja“ als Antwort auf diese Frage – und das ganz „ernsthaft“.

Hans-Jürgen Peters
Hans-Jürgen Peters

Welche Qualitäten sollte jemand besitzen, der sich in der heutigen Zeit auf das Pfarramt vorbereitet?

H.-J. Peters: Wenn man nach den „Qualitäten“ fragt, dann wird man nicht antworten können: er (oder sie) sollte an Jesus Christus glauben, gerne Menschen für Jesus gewinnen und zu diesem Amt berufen sein. Denn das alles sind Wirkungen des Geistes Gottes, die unverzichtbar sind; aber es sind keine menschlichen Qualitäten. Unter diesen möchte ich zwei Qualitäten herausgreifen, die mir als erstes einfallen: Mut und Ehrlichkeit.

Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und gegenüber anderen Menschen: ehrlich die Bedeutungslosigkeit und Chance der Kirche in einer postmodernen, pluralistischen Gesellschaft wahrnehmen; ehrlich mit eigenen Zweifeln umgehen; ehrlich die eigenen Defizite und Beschränkungen sehen und so barmherzig gegen andere werden; ehrlich die Fragen offen lassen, die man nicht beantworten kann.

Mut, gegen den Strom zu schwimmen: den Mut, das Evangelium gegen den Widerstand dieser Welt zu verkündigen; den Mut, Dinge zu sagen, die als veraltet oder intolerant empfunden werden können; den Mut, Dinge neu zu bewerten, auch wenn die eigene Prägung anders ist; den Mut, andere Menschen nicht zu beherrschen, sondern ihnen mit seinen Gaben zu dienen; den Mut, sich als „unwissenschaftlich“ abwerten zu lassen, wenn es das Zeugnis der Wahrheit erfordert; den Mut, eigenständig zu denken; den Mut, zu glauben, dass Gott mit den Menschen um mich herum etwas vorhat; den Mut, für Gott etwas zu tun, ohne von Menschen dafür Dank zu bekommen.

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen - ETM 8/1 (2002)
Herausgeber: AfeT - Arbeitskreis für evangelikale Theologie

22.09.2002
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