Biblisch erneuerte theologische Ausbildung
Studientag der AfbeT am 2. März 2002

Thomas Hafner

„Schritte zu einer biblisch erneuerten theologischen Ausbildung“, lautete das Thema des diesjährigen Studientags der Arbeitsgemeinschaft für biblisch erneuerte Theologie (AfbeT), am 2. März 2002. Etwas mehr als 30 Theologen, davon zwei des befreundeten AfeT, kamen im Theologisch-Diakonischen Seminar (TDS) in Aarau zusammen.

AfbeT-Präsident Pfr. Dr. Beat Weber eröffnete noch unspektakulär mit einer Besinnung zur Aufgabe der AfbeT anhand ihres programmatischen Namens. Die AfbeT lebt vom alten biblischen Wort, orientiert sich immer wieder heute an diesem Wort, und traut dem Hl. Geist zu, dass er das theologische Denken aus dem biblischen Wort erneuern wird.

Vom letzten Studientag „Einweisung in eine biblisch erneuerte Theologie“ anhand der Psalmen führte eine direkte Linie zum diesjährigen Thema. Denn „jeder Schriftgelehrte, der sich für das Reich der Himmel zum Jünger machen liess, gleicht einem Hausherrn, der aus seiner Schatztruhe Neues und Altes hervorholt.“ (Jesus, Mt 13, 53). Wer, wie in Psalm 1 beschrieben, über dem Wort brütet und sich daran erfreut, ist von der Schrift gelehrt. Er sammelt sich einen Schatz im Himmelreich. Die Nachfolger Jesu holen je nach dem, was not tut, Neues (die Lehre Jesu, Worte der Erkenntnis aus dem Geist) und Altes hervor, wie z.B. die Urgemeinde den Psalm 2, der ihnen in seiner Bedeutung neu aufgeht und sie vollmächtig beten lehrt (Apg 4).

Das Lehrprogramm Jesu

In seinem Eingangsreferat behandelte Peter Wick (Assistenzprofessor Uni Basel) die Didaktik Jesu. Bekanntlich haben die Apostel sich nicht immatrikuliert, sondern wurden von Jesus gerufen. Die Nachfolge wurde ihnen befohlen („Hinter mir her!“). Sie riss sie aus dem bisherigen Familien- und Berufsleben heraus. Das war nicht Schicksal oder Nebenumstand, sondern wesentliches Element der Lehrstrategie: Jesus distanzierte seine Schüler von ihrer Praxis. Auffälligerweise genossen die Jünger in der Regel nur Anschauungsunterricht. Sie hatten am Ende der Schulung wenig eigene Praxis vorzuweisen. In Mt 10 wird vom einzigen (unbegleiteten) Praktikum berichtet. Und doch sollen sie die ganze Welt zu Jüngern machen! Wie erklärt sich diese seltsame Spannung zwischen der Ausbildung und der Berufung?

Das Vorbild Jesus soll offenbar nicht 1:1 kopiert werden. Durch allzu starke Ausbildung „on the job“, durch blosses Nachahmen oder Kopieren käme lediglich eine funktionale Ausbildung zustande. Sobald neuartige Praxisfelder oder Fragen auftauchten, wären die Jünger ratlos. Zu viel Praxis könnte die Jünger zudem hindern nachzudenken. Sie sollen ja v.a. kompetent das Wort Gottes hören. – Auch innerhalb der Lehre („Theorie“) schuf Jesus Distanz – und zwar zu seinen Schülern! Seine Himmelreichsgleichnisse führen bis heute auch zu Missverständnissen oder werden nicht verstanden. Jesus nimmt das in Kauf. Er macht nicht alle Lehren handhabbar. Weshalb? – Damit das prophetische Wort erfüllt wird! (Ps 78, 2 zit. in Mt 13, 35) Die Geheimnisse des Himmelreichs sind nach Gottes Willen nur denen gegeben, die Jesus folgen (Mt 13, 10f). Tiefere theologische Erkenntnis ist ohne Nachfolge nicht zu haben.

Wick folgert aus den Beobachtungen bei Matthäus, dass unser Lehren eine Art Fallbeispiel sein soll. Er warnt vor einer falschen Favorisierung des Praxisbezuges, wie er im Deutschen Sprachraum in aller Munde ist. Dies könnte dazu führen, dass „aalglatte Funktionäre“ ausgebildet werden. Theologische Ausbildungen können und müssen also nicht alle Brücken zwischen „Theorie“ und „Praxis“ schlagen.

Zur Krise der theologischen Ausbildung und ihrer Überwindung

Wenn eine vom tragischen Unfalltod ihres Sohnes erschütterte Mutter den Vikar fragt: „Wo ist jetzt Erwin?“, muss der langjährig geschulte Theologe dann nicht Antwort wissen? Wenn der so gefragte Vikar vor allem verblüfft ist, sich windet und sich schliesslich zur „Ganztod-Theorie“ bekennt, ist dann der Nutzen seiner theologischen Ausbildung nicht grundsätzlich in Frage gestellt? Das von Dr. Bernhard Ott eingebrachte Beispiel macht die eine Krise theologischer Ausbildungen anschaulich: das Auseinanderklaffen von Alltag und akademischem Denken. Edward Farley beschrieb diese Krise als „Fragmentierung“ . G. Ebeling beschrieb drei Ebenen der Aufsplitterung, die kaum mehr integrierbar scheinen: 1. die kirchen- und theologiegeschichtliche (im Effekt: konfessionelle) Fragmentierung, 2. die sachlich-inhaltlich sich ausschliessenden Theologien und 3. die methodische Vielfalt der Teildisziplinen. Meistens wird die Sachlage in den Gemeinden und Kirchen aber auf das „Theorie-Praxis-Problem“ (H.-Chr. Piper) hin vergröbert. Unter „Theorie“ und „Praxis“ verstehen allerdings nicht alle dasselbe. Im deutschsprachigen Raum erschallt aber fast einmütig der Ruf nach mehr Praktika und nach mehr praxisrelevanter Theorie. Die angehenden Pfarrer, Seelsorger etc. sollen mehr üben und sich einarbeiten. Ist das die Lösung? Nein. Denn durch Praktika allein wird weder das Problem klarer erfasst noch die innere Mitte, die alles zu ordnen vermag, gewonnen. Die funktionale Orientierung der Ausbildung (v.a. in den USA) macht nur kurzfristig erfolgreich.

Ott möchte in Anlehnung an Farley die Theologie wieder bewusst als doppelte Aufgabe gestalten: Zum einen die innere Verfassung, den habitus der Seele bilden, den eigenen persönlichen Glauben reflektieren lassen, die Gotteserkenntnis fördern. Zum andern soll Theologie als wissenschaftliche Bemühung betrieben werden. Die Zusammengehörigkeit beider Aufgaben ist in Psalm 1 vorausgesetzt. Dort ist nämlich nur jenen Menschen Gelingen verheissen, die sich richtig entscheiden, d.h. ihr Leben nach Gottes Tora gestalten. Deshalb fordert Ott die Vorordnung der Tora, des Torastudiums vor aller Praxis und Programmatik. Das Theologiestudieren darf eben nicht dem Christentum in seiner heutigen Gestalt oder der konkreten Gemeindesituation mit ihren Bedürfnissen ausgeliefert werden (gegen das Erbe Schleiermachers). Es braucht hier Distanz.

Anstösse aus Basel und Afrika

Am Nachmittag referierte Pfr. Dr. Bernhard Rothen (Basler Münstergemeinde und Leiter des Evang. Studienhauses), zum Thema „Verantwortung des Pfarrers für Theologiestudierende“. Das zweite Referat von Pfr. Dr. Paul Kleiner, „Impulse aus Afrika für die theologische Ausbildung“, beschrieb Erfahrungen aus zehn Jahren als Dozent und mitverantwortlicher Leiter eines theologischen Seminars in Angola.

Das Wort in der pastoralen Erfahrung...

Rothen beschrieb die zwiespältige Situation des modernen akademisch ausgebildeten Pfarrers. Heute ist der evangelische Pfarrer einerseits ein Pastor (Hirte) mit geistlichem Auftrag in der Gemeinde, andererseits ein staatlich geförderter Garant einer liberalen Gesellschaftsordnung, die den religiösen Frieden „befiehlt“ (J. Burckhardt). Diese Liberalität hat unserer Gesellschaft viel Positives gebracht! Sie hat aber einen hohen Preis. Wenn nämlich die Toleranz sich damit begründet, dass alles gleich gültig ist, ist am Ende alles gleichgültig (Sloterdijk).

Nach Luther macht allein die Erfahrung den Theologen. Luther meinte allerdings jene Erfahrung, die uns klar macht, dass wir auf Gottes Wort angewiesen sind: „Die Anfechtung lehrt aufs Wort merken“. Die Erfahrung lehrt, dass die Erfahrung nicht trägt; sie hat also eine wichtige negative Funktion. Dann aber lehrt sie auch, dass das Bibelwort trägt, wo alles andere versagt. Diese Erfahrung macht der Pfarrer regelmässig von Berufes wegen (anders als die akademischen Lehrer). Die Bibel will sich nicht vor dem Forum einer selbstsicheren Vernunft behaupten. Die pfarramtliche Erfahrung aber ist, dass das Bibelwort die Gebeugten aufrichten, die Trauernden trösten kann und zu sagen weiss, wo der Erwin jetzt ist. Aufgabe des Pfarrers ist es daher, die Theologiestudierenden an diesen Erfahrungen teilhaben zu lassen. Sie sollen sehen, dass sich das Bibelwort auf dem Forum der alltäglichen Nöte bewährt.

... und die Funktionalisierung des Pfarramtes

Im freien Gespräch erörtert Rothen, dass sich seiner Meinung nach in den letzten 40 Jahren eine zunehmende Funktionalisierung und Lähmung der Pfarrerschaft beobachten lässt. „Die Kirche“ wird als eine Körperschaft aufgebaut und vereinnahmt das Pfarramt. Entscheidungsabläufe wurden aus den Händen der Pfarrerschaft genommen, Pfarrämter ungeordnet nebeneinander gestellt, so dass sich ihre Inhaber auf einem dürftigen, kleinsten gemeinsamen Nenner finden müssen. Zudem halten eine Fülle von administrativen Arbeiten und Bemühungen auf dem Freizeitsektor die Pfarrer gefangen. Bewegungen oder Reformen, die von der Pfarrerschaft ausgehen könnten, werden so im Keim erstickt. Dies verhindert das Heranwachsen grosser Persönlichkeiten, die dem Amt ein soziales Ansehen erhalten oder neu verschaffen könnten. Rothen sieht diese Entwicklung als eine Folge der Schleiermacher'schen Theologie.

Mitgliederversammlung

Pfr. Jürg Luchsinger (Walterswil BE) wurde in den Vorstand gewählt, die Vereinssatzung revidiert. Schliesslich durften wir den beiden langjährigen verdienten Gründungsmitgliedern Prof. Heinrich Schmid (Wil SG) und Prof. Eduard Buess (Basel) die Ehrenmitgliedschaft verleihen.

aus: Evangelikale Theologie Mitteilungen - ETM 8/1 (2002)
Herausgeber: AfeT - Arbeitskreis für evangelikale Theologie

01.08.2002
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